Auf der Suche nach mehr Tierwohl!
Gemeinsam mit 15 Teilnehmer:innen waren wir bei unserer jährlichen Aktionsradtour 2022 im Oldenburger Münsterland, dem Brennglas der Tierindustrie, unterwegs. Sechs Tage lang besuchten wir radelnd Höfe und ausgewählte Stationen, um mehr über das Thema gerechte Nutztierhaltungswende, Tierwohl und die Arbeitsbedingungen in der Tierindustrie zu erfahren. Mit politischen Protestaktionen zeigten wir vor den großen Industrieanlagen im Landkreis Vechta: Es braucht dringend Perspektiven für die ganze Region!
Montag, 18. Juli
Startklar für den Wandel: Politische Radtour in Ostfriesland
Leer (Ostfriesland): Nach und nach trudeln die Teilnehmer:innen am Bahnhof ein. Bis wir vollständig sind, wird das eigene Fahrrad mit Fahnen und politischen Statements geschmückt. Denn auf dem Weg von Station zu Station wollen wir zeigen: Wir sind keine reine Freizeit-Gruppe, sondern mit politischer Botschaft unterwegs.
Erster Halt: Emissionen durch Tierhaltung
Nach ca. dreißig Kilometern und einem kurzen Zwischenstopp zum gegenseitigen Kennenlernen treffen wir gegen Abend an unserem ersten Übernachtungsort ein. Am Abend stellt Lucia von Aktion Agrar die Kampagne „Weniger Tiere – mehr Zukunft“ und die Entwicklungen, Herausforderungen und Probleme der industriellen Tierhaltung vor. Besonders eindrücklich ist, dass die Tierhaltung in Deutschland für fast 3/4 aller landwirtschaftlichen Klimagasemissionen verantwortlich ist und auf 70 Prozent der global verfügbaren Agrarflächen Futtermittel statt Nahrungsmittel angebaut werden. Lebhaft diskutieren wir über das Thema und Teilnehmer:innen teilen ihr Fachwissen.
Dienstag, 19. Juli
Bürger:innen wehren sich gegen gigantische Biogasanlage
Am nächsten Morgen geht es früh los zum C-Port, um die Bürger:inneninitiative Saterland zu treffen. Diese setzt sich gegen den geplanten Neubau einer gigantischen Biogasanlage der Firma Revis Bioenergy aus Münster ein. Die Anlage soll insgesamt 16 Fermenter und 42 Silos (25m x 25m) enthalten und jährlich eine Million Tonnen Gülle und Mist verwerten.
Mithilfe eines Anwalts hat die Initiative viele Mängel im Bebauungsplan und bundesimmissionschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren gefunden. Dabei hat die Firma Revis selbst für die öffentliche Entscheidung maßgebliche Gutachten erstellen lassen. Dank der engagierten Arbeit der Bürgerinitiative verzögert sich der Betriebsstart der Anlage bisher. Ein zweiter Investor ist bereits abgesprungen. Neben den Folgen für kleine Anlagen fürchten die Aktivist:innen, dass umweltschädliche Abwässer in einen lokalen Fluss eingeleitet werden. Zudem ist nicht eindeutig, was mit den Gärresten geschehen wird: Während die Baufirma behauptet, sie werden Pellets aus den Resten herstellen, hat die Initiative herausgefunden, dass sie Ausschau nach Flächen in Sachsen-Anhalt hält, um die Gärreste womöglich dort auszubringen. Dort sind die Nitratwerte, im Gegensatz zu Niedersachsen, noch nicht überschritten.
Schockierende Einblicke: Die dunkle Seite der Tierindustrie
Mittags geht es am Küstenkanal entlang bis nach Oldenburg. Die heißen Temperaturen machen einigen von uns zu schaffen, weshalb ein Badespot an der Hunte sehr gelegen kommt. Nach der Erfrischung und einem stärkenden Abendessen begrüßen wir zwei Mitarbeiter der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO), von der wir wertvolle Einblicke über die Situation der Arbeiter:innen in der Tierindustrie erfahren.
Die Erzählungen aus dem Arbeitsalltag der ALSO sind schockierend. Vielen von uns ist nicht bewusst, dass Konzerne und Lohnunternehmen von Arbeiter:innen nicht nur überteuerte Mieten verlangen, sondern die Situation auch auf anderen Wegen ausnutzen. So seien Arbeiter:innen bei Arztbesuchen auf teure Übersetzungshilfe aus dem betrieblichen Umfeld angewiesen.Ohne Garantie, dass die ärztlichen Aussagen korrekt übersetzt werden. Der Druck, schnell und präzise zu arbeiten sei enorm hoch, nicht zuletzt wegen auf extreme Geschwindigkeiten eingestellter Förder- und Fließbänder. Das im Zuge der Corona-Skandale erlassene Arbeitsschutzkontrollgesetz, das Leiharbeit in den großen Fleischkonzernen unterbinden sollte, hat leider keine Verbesserungen gebracht, berichten die Berater der ALSO. Vorher private Subunternehmen seinen nun einfach in die Konzernstrukturen integriert.
Mittwoch, 20. Juli
Aktionsrallye in Oldenburg
Der nächste Tag startet mit einem kurzen Input von Jutta von Aktion Agrar zu den globalen Auswirkungen industrieller Tierhaltung. Daraufhin werden die Teilnehmenden in Kleingruppen auf eine Aktionsrallye durch Oldenburg geschickt. Es gibt historische Orte zu entdecken, beispielsweise den Standort eines ehemaligen Schlachthofs und die älteste Fleischkonservenfabrik Deutschlands. Lustige Foto- und Kreideaufgaben, spannende Gespräche mit Passant:innen und leckeres Eis runden die Stadtrallye ab.
Hofgemeinschaft Grummersort: Wie Tierwohl, Landwirtschaft und Umweltschutz Hand in Hand gehen
Nachmittags machen wir uns gemeinsam auf den Weg zur Hofgemeinschaft Grummersort, einem Demeter-Betrieb mit 15 Milchkühen, ein paar Schweinen, Gemüse- und Ackerbau und einer eigenen Bäckerei. Alle Tiere werden das ganze Jahr im Freien gehalten, verfüttert wird ausschließlich selbst angebautes Futter. Ein tolles Beispiel dafür, wie eine betriebliche Kreislaufwirtschaft umgesetzt werden kann und wie Tierwohl, Landwirtschaft und Umweltschutz Hand in Hand gehen können. Ein Teil der Erzeugnisse vermarktet der Hof direkt auf Märkten der Umgebung. Ein anderer Teil geht an Mitglieder der SoLawi. Neben veganen und vegetarischen Anteilen gibt es auch Anteile mit Fleisch zu erwerben. Das macht total Sinn, denn Milch kann es nur geben, wenn Kühe Kälber gebären und entsprechend muss das Fleisch der (gemästeten) Kälber auch verwertet werden.
Donnerstag, 21. Juli
Moore trockengelegt: Darum gibt es so viel Tierhaltung im Oldenburger Münsterland
Nach einer gewittrigen Nacht in Zelten hört es nicht auf, zu schütten. Umso dankbarer sind wir, dass Friederike Gerken von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen spontan zu unserem Zeltplatz kommen kann. In einer Scheune bauen wir improvisiert eine Projektionsfläche auf einer Tischtennisplatte auf und diskutieren zwischen Kanus über die Zukunft der Tierhaltung in Südoldenburg. Frau Gerken erklärt uns, wie aus der ehemaligen Moor- und Heidelandschaft seit Beginn des 19. Jahrhunderts die Landschaft für Ackerbau urbar gemacht wurde (Moore trockengelegt und Flächen mit riesigen Pflügen umgegraben). Aufgrund der schlechten Bodenwerte spezialisierten sich die Landwirt:innen auf Futteranbau und Tiermast. Die günstige Lage der Region in der Nähe des Ruhrgebiets ermöglichte den massenhaften Absatz der Masttiere. So etablierte sich im Laufe der Zeit das Oldenburger Münsterland nach und nach zur Hotspot-Region der Tierindustrie.
Tierwohl auf Hof Deye: Artgerechte Schweinezucht
Direkt im Anschluss besichtigen wir den Hof Deye. Das ist ein Schweinezucht- und -mastbetrieb, der uns von der Landwirtschaftskammer als Vorzeigebeispiel genannt wurde und ausschließlich über die Marke „Bauer&Metzger“ vermarktet. Mit ca. 700 Mastschweinen und 80 Sauen ist der Betrieb der kleinste in der Region. Im bundesweiten Durchschnitt sieht dies jedoch anders aus.
Die Deyes haben mit viel Engagement innerhalb der letzten Jahre ihren ehemals konventionellen Mastbetrieb so umgebaut, dass Tiere dort möglichst artgerecht leben können. Auf dem Hof haben alle Schweine und Sauen Zugang zu Außenklima und Stroh. Durch ausreichend Platz und Entspannungsmöglichkeiten verletzen sich die Tiere nicht gegenseitig am Schwanz – obwohl die Schwänze nicht kupiert werden. Im Kastenstand sind die Sauen nur ein bis zwei Tage nach der Geburt, damit sie die frisch geborenen Ferkel nicht erdrücken. Ein hoffnungsmachendes Beispiel, wie Schweinemast mit Fokus auf das Tierwohl umgesetzt werden kann.
Eutrophierung der Ahlhorner Fischteiche: Ein Wettlauf gegen die Tierindustrie
Im Anschluss fahren wir – weiterhin im Regen – zu den Ahlhorner Fischteichen, um die Bürger:innen-Initiative Mensch-Umwelt-Tier (MUT) zu treffen. Diese setzt sich aus gegen Neubauten von Mastanlagen und Biogasanlagen ein und hat bereits erfolgreich eine Hähnchenmastanlage in Amelhausen verhindert. Die Initiative wurde 2011 von AbL, ALSO, BDM, NABU und anderen Umwelt- und Tierschutzorganisationen gegründet. In strömendem Regen erzählt uns der Referent von MUT, wie viele der Ahlhorner Fischteichen schon eutrophiert seien. Es sei nicht auszuschließen, dass dabei die Emissionen aus der Tierindustrie eine Rolle spielen. Zusätzlich herrscht im Sommer immer größere Wasserknappheit, die sich durch die Nutzungskonkurrenz mit der Landwirtschaft verschärft.
Am Ende dieses ereignisreichen Tages sind alle sehr froh über die warme Dusche in der Unterkunft. Die Teilnehmenden sind nach dem Abendessen noch motiviert, Hühnermasken vorzubereiten und ein Banner für die Aktion am nächsten Tag zu malen. „Megaställe – Willst DU den Mist?“ lautet der Spruch, mit der wir am kommenden Tag für eine Tierhaltungs- und Ernährungswende protestieren wollen.
Freitag, 22. Juli
Aktionstag: Gemeinsam gegen die Tierindustrie
Freitag ist Aktionstag! Mit einem Zwischenstopp bei der Geflügelverarbeitungsanlage von Plukon ziehen wir los zur Brüterei Weser Ems, wo wir uns mit unseren Erfahrungen aus den letzten Tagen an die Öffentlichkeit wenden und für eine zukunftsfähige Perspektive in der Region streiten. Der Presseeinladung ist ein Journalist gefolgt, der sich interessiert eine kurze Inszenierung zur Nahrungsmittelkonkurrenz anschaut und den Redebeiträgen der Teilnehmer:innen lauscht.
Während Millionen von Menschen auf der Welt hungern, verfüttern wir den Großteil unseres Getreides an Nutztiere. Das ist keine Veredelung, sondern Verschwendung von Kalorien und Ackerflächen! Wir müssen jetzt weitgehende Veränderungen wagen. Sie heute zu versäumen mündet morgen in eine tödliche Klimakatastrophe, brutale Verteilungskonflikte und weitgehende Naturzerstörung.
Für die Aktion haben sich uns Aktivist:innen des Bündnisses „Gemeinsam gegen die Tierindustrie“ uns angeschlossen. Diese rufen dazu auf, im September erneut in der Region zusammenzukommen, um den Protest gegen die Fleischkonzerne fortzusetzen.
Den aktionsreichen Tag lassen wir auf einem ehemaligen Bioland-Betrieb ausklingen, wo wir unseren Protest am Lagerfeuer auswerten.
Samstag, 23. Juli
Wie Megafleischkonzerne kleine Betriebe, Tierwohl und die Umwelt gefährden
Nach einem späten Frühstück und der Auswertung der Fahrradtour machen sich die Teilnehmenden nach und nach auf den Weg nach Vechta. Von dort aus treten sie die Rückreise an.
Die verschiedenen Exkursionen, Vorträge und Einblicke in die Agrarindustrie-Region haben gezeigt, wie vielschichtig die Auswirkungen der industriellen Tierhaltung im Oldenburger Münsterland sind. Megafleischkonzerne reduzieren ihre Kosten über gesteigerte Produktionsmengen auf Kosten vom Tierwohl. Sie werfen Billigfleisch zu Dumpingpreisen auf den Markt, sodass kleine Betriebe kaum noch mithalten können. Zusätzlich verschwinden alternative Absatzwege für kleine Betriebe. Die extrem hohe Tierzahl bringt jede Menge Emissionen und Stickstoffeinträge in die Umwelt mit sich, die Artenvielfalt und Klima schädigen. Es gibt nur einen Ausweg: Die Tierbestände in der Region müssen drastisch reduziert werden. Megaställe haben keine Zukunft!
Besondere Eindrücke von unserer Aktionsradtour und Forderungen der Teilnehmer:innen für die Tierhaltungswende haben wir in einem kurzen Film festgehalten:
Gefördert von den Teilnehmer:innen der