Kleinbäuer:innen in Rumänien
Kaum irgendwo in Europa ist die Landwirtschaft noch so kleinteilig wie in weiten Teilen Rumäniens. Kleinbäuer:innen dort wehren sich auf mehreren Ebenen gegen Landgrabbing und den Druck, ihre Betriebe massiv zu rationalisieren und zu industrialisieren. Sie kämpfen um eine Landwirtschaft, die noch ganz nah bei den Menschen ist und sich in einigen Bereichen als krisenfester erweisen könnte als mancher Großbetrieb.
Eco Ruralis lernte ich 2013 kennen, bei einem Besuch in Hosnan, einer kleinen Gemeinde nördlich von Sibiu, auch bekannt als Hermannstadt. Als ich ankam zog ein Esel einen Holzkarren, Hühner liefen über die Straßen, nicht alle Wege im Dorf waren befestigt, am Ortsrand und teilweise direkt neben den Wohngebäuden wuchs vielfältiges Gemüse in kleineren und mittleren Gärten. Nicht Zierpflanzen, sondern Kohlköpfe,
Bohnen und Salat prägten das Bild.
Kampf gegen Landgrabbing und explodierende Preise
Hier begegnet mir zum ersten Mal Eco Ruralis, beziehungsweise ein aktives Mitglied des Netzwerks. Ich erfahre von dem Kampf der Kleinbäuer:innen-Organisation gegen explodierende Landpreise und das Landgrabbing durch Investoren. Bis zu dieser Reise dachte ich, das Thema Landraub sei vor allem in südamerikanischen und afrikanischen Ländern aktuell. Außerdem mobilisierten die Kleinbäuer:innen gegen ein wahnsinniges Goldgewinnungsprojekt in Rosia Montana, nicht weit von Hosnan in den Bergen. Ich konnte eine kleine finanzielle Unterstützung aus Deutschland vermitteln. Der Kontakt ist seitdem nie ganz abgerissen.
Für die Zukunft bäuerlicher Landwirtschaft
Jetzt kommen wir wieder ins Gespräch. Eco Ruralis ist der rumänische „Ableger“ von La Via Campesina und nahm seine Arbeit 2009 auf. Der Verein mit heute über 17.000 Mitgliedern stärkt kleine und kleinste Bauernhöfe, organisiert Widerstand gegen mächtige Investoren und leistet intensive Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit für die Zukunft bäuerlicher Landwirtschaft. Einer kleinbäuerlichen Landwirtschaft, die diesen Namen noch verdient. „Die letzten echten
Bauern Europas“, titelte die FAZ 2018.
Tierhaltung in der Subsistenzlandwirtschaft
Traditionell betreiben die rumänischen Bauernhöfe Subsistenzlandwirtschaft. Tiere gehören dazu. Die Tiere waren immer Teil des Haushalts, sind es teilweise heute noch. Darüber hinaus gewährleistete die extensive Beweidung den Erhalt der biologischen Vielfalt. Die gemeinsame Beweidung in Rumänien ist eine historische Tradition, sowohl in Bezug auf Allmendeland als auch auf Herden, die üblicherweise von Hirt:innen begleitet werden, die die Gemeinschaft beschäftigt. Bis heute gibt es noch in fast jedem Dorf eine gemeinschaftlich genutzte Weide. Daher hat die Praxis der bäuerlichen Tierhaltung eine hohe ökologische, kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung für Rumänien – insbesondere für ländliche Gemeinden, die durch industrielle Landwirtschaft, einschließlich industrieller Viehzucht, bedroht sind.
Rumänien ist 2007 der EU beigetreten. Mit diesem Schritt haben dramatische Veränderungen begonnen, die die kleinbäuerliche Landwirtschaft gefährden und die Chancen zunichte machen, die in der Eingebundenheit der kleinen Höfe und ihren vielfältigen Pflanzen und Tierhaltungen stecken. Chancen für Klimaresilienz und den Schutz der biologischen Vielfalt.
Konflikte um Hausschlachtungen
So gibt es seit dem EU-Beitritt Konflikte um die Praxis der Hausschlachtung auf den Höfen. Auflagen, die Tierschutz und Lebensmittelsicherheit dienen sollen, stehen oft Tradition und den Möglichkeiten der Kleinstbetriebe unversöhnlich gegenüber.
Schweinepest: 140.000 Schweine betroffen
Immer größer wurden zum Beispiel auch die Schweinehaltungen in Rumänien – 2018 meldete der größte Schweinemäster des Landes 140.000 Schweine, die von einem Ausbruch der Schweinepest in seinen drei Ställen betroffen waren. Die Behörden äußerten den Verdacht, dass das Virus von den kleinen Halter:innen und unsachgemäßer Entsorgung von toten Schweinen auf den Megastall übergegriffen habe. Solcher und ähnlicher Druck wirkt von vielen Seiten auf die kleinen Betriebe und verändert das Gesicht der Landwirtschaft in Rumänien dramatisch.
Kleine Höfe verschwinden
Anastasia Oprea von Eco Ruralis erzählte Ende 2022 im Interview: „In den letzten 12 Jahren haben 134 kleine Höfe pro Tag in Rumänien aufgegeben. Zwischen 2010 und 2020 verschwanden insgesamt 488.000 Höfe mit einer eigenen Landfläche von weniger als einem Hektar – fast ein Viertel der Kleinbäuer:innen!“ Und drastisch sei auch der Rückgang von Familiengärten, die 2010 noch auf 184.000 Hektar Land gepflegt wurden. Auch von diesen Selbstversorgungsflächen sind beinahe ein Drittel verschwunden. Gleichzeitig verdoppelte sich die Zahl der Betriebe, die mehr als zehn Hektar bewirtschaften. Das Landgrabbing durch Investoren steigt weiter.
Gezielte Politik: Subventionen nur für große Betriebe
Das scheint die Regierung in Bukarest immer wieder zu vergessen. Ihre Vorschläge zur Umsetzung der EU-Agrarpolitik in Rumänien irritierten selbst die Verantwortlichen in Brüssel.
Denn nach diesen Dokumenten zu urteilen, scheinen die Kleinstbetriebe ein Ballast für die rumänische Gesellschaft zu sein. Höfe mit einer Fläche von weniger als einem Hektar sollten nach dem Konzept des Ministeriums für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (MADR) für die Jahre 2023–2027 gar keine Subventionen erhalten können, während nach oben kein Deckel vorgesehen ist. So wären bis zu 15 Millionen Euro an Auszahlungen für die größten Betriebe möglich.
Eco Ruralis hat einen Forderungskatalog für eine faire EU-Agrarpolitik auf- und zur Diskussion gestellt. Gleichzeitig setzt das streitbare Netzwerk gute Alternativen auch einfach in die Tat um. Und es fordert, dass Kleinbäuer:innen auf allen Ebenen als gleichberechtigte Teilnehmer:innen im Landwirtschaftssystem betrachtet, behandelt und einbezogen werden – lokal, national und auf EU-Ebene.
Für vielfältiges, freies Saatgut
Gesunde, vielfältige Pflanzen sollen es sein – und die sind nicht zu bekommen ohne das passende Saatgut. Im Rahmen der Kampagne „Agro-Biodiversität“ sammelt Eco Ruralis jährlich traditionelles Saatgut und verteilt es an kleine Lebensmittelproduzenten im ganzen Land.
Auf diese Weise trägt sie zur Erhaltung und Vermehrung des reichen rumänischen genetischen Erbes bei. Anastasia erzählt: „Das lokale Saatgut erreicht jedes Jahr zwischen 3000 und 5000 Bauern, Kleinbauern oder Neubauern, damit sie mit der Nahrungsmittelproduktion für den Eigenbedarf oder für den Kleinhandel beginnen oder weitermachen können.
Unsere Initiative erhält lokales Saatgut. Wir sichern so die biologische Vielfalt und erhöhen die Ernährungssicherheit in ländlichen Gebieten. Und nicht zuletzt verankern wir damit die traditionellen Praktiken der Saatgutvermehrung, und zwar als kollektives Werk. Das stärkt die ländlichen Gemeinschaften.“
Gegen Landgrabbing
Einen besonderen Schwerpunkt der Arbeit von Eco Ruralis bildet seit der Gründung der Kampf um Landrechte. Seit dem EU-Beitritt eskalieren die Preise für den Kauf und die Pacht von Flächen. Das Kleinbäuer:innen-Netzwerk stellte umfassende Recherchen an, um die Probleme des großflächigen Landerwerbs, der Landkonzentration und des Landgrabbing in Rumänien darzustellen.
Eco Ruralis fordert die Umsetzung der Freiwilligen Leitlinien der FAO zur verantwortungsvollen Verwaltung von Land-, Fischerei- und Waldbesitz in Rumänien. Was eine Selbstverständlichkeit sein sollte, erfordert aufwändige Protest- und Lobbyarbeit. Die Auseinandersetzung um den Zugang zu Land ging an einigen Orten noch weiter. In Pungesti im Kreis Vaslui hatte der amerikanische Energiekonzern Chevron zum Beispiel die Rechte für Erkundungsbohrungen für Erdgas-Fracking erworben. Er hatte aber nicht mit den fast 3500 Bäuer:innen der acht Dörfer umfassenden Gemeinde gerechnet. Denn die Bäuer:innen besetzten das Explorationsgebiet, bildeten eine Menschenkette und weigerten sich zu gehen. Nach einer Räumung mit erschreckender Polizeigewalt erklärten die Vertreter von Chevron, dass sie ihre Aktivitäten in Pungesti einstellen würden. Die rumänischen Regierung unterstützte die Erdgasjäger aber weiterhin.
Eine erfolgreiche Aktionsform entwickelte Willy Schuster aus Mosna im Kreis Sibiu. Der Co-Vorsitzende von Eco Ruralis und seine Familie betreiben dort einen Bio-Milchbetrieb im Dorf mit zertifizierten Bio-Weiden und Ackerflächen. Dort begannen Beschäftigte der Firma Prospectiuni SA, illegal Hunderte von Metern Prospektionskabel und Sprengstoff auf ihrem Land zu verlegen, um das Potenzial des Gebiets für die Gewinnung von Bodenschätzen wie Schiefergas zu kartieren. Willy Schuster sammelte wiederholt alle Kabel von seinen Ländereien ein, und bald folgten andere den „späten Ernteaktionen“, da die Kabel dem Vieh im Weg waren und die Arbeiter durch ihre Verlegung die Erntefelder zerstörten. Die Aktivisten berichteten über gewaltsame Polizeieinsätze und Klagedrohungen, ließen sich aber nicht beirren und leisteten weiter Widerstand.
Der Kampf um Rosia Montana
Landgrabbing für Gold
Rosia Montana ist ein kleines Dorf im Apuseni-Gebirge, dem nördlichen Abschnitt der Karpaten. Es wurde massiv durch ein gigantisches Bergbauvorhaben bedroht. Einen ganzen Berg wollte das kanadische Unternehmen Gabriel Resources abtragen und 20.000 Menschen umsiedeln, um mit Hilfe heftiger Chemikalien und schwersten Maschinen dort Gold zu gewinnen. Auch nach dem EU-Beitritt ging die Auseinandersetzung um das Landgrabbing weiter. Eco Ruralis rief 2011 mit anderen Organisationen zusammen zu einem großen „Reclaim the fields“-Camp auf: „Wenn du ein Bauer oder eine Bäuerin, ein urbaner Gärtner oder eine Gärtnerin, ein nachhaltiger Fischer oder eine nachhaltige Fischerin, ein Imker oder eine Imkerin, ein Aktivist oder eine Aktivistin bist oder davon träumst, dies zu sein, dann nimm am dritten Reclaim the Fields Camp teil, das vom 21. bis 30. September 2011 in Rosia Montana stattfinden wird.“
Der Widerstand wurde international bekannt – und endete nach 15 Jahren heftiger Proteste mit einem Sieg für Menschen, Biodiversität und Natur.
Als Russland vor beinahe einem Jahr die Gewalt gegen die Ukraine eskalierte, waren es die Leute von Eco Ruralis, die schnell Kontakte aufbauten zu kleinbäuerlichen Strukturen dort und konkrete Unterstützung leisteten. Noch ein Grund für uns, den Kontakt aufrecht zu erhalten. Es tut gut zu erleben, wie vielfältig (internationale) Solidarität beim Einsatz für die Agrar- und Ernährungswende – und für den Erhalt kleiner, resilienter Strukturen – funktioniert. Nehmen wir davon etwas mit in unseren Alltag und das Jahr 2023!