Was treibt junge Landwirt:innen an?
Immer wieder sieht‘s düster aus in der Agrarlandschaft: Kleine Betriebe müssen aufgeben, weil sie mit den wirtschaftlichen Zwängen nicht Stand halten können. Preisdruck, erschwerter Zugang zu Land und schlechte Arbeitsbedingungen lassen den Beruf für Junglandwirt:innen in einem trüben Licht dastehen. Wir haben uns gefragt – was motiviert junge Landwirt:innen trotzdem den Schritt zu gehen einen kleinen Betrieb mit Tierhaltung zu starten? Wie können Betriebe kollektiv ihren Ansprüchen an eine solidarische Gesellschaft und zukunftsgewandten Landwirtschaft gerecht werden?
Genüsslich radel ich den letzten Hügel hoch ins Dorf Oberrieden, biege rechts ab und komme erst vor der kleinen Pforte zum Halt, auf der „Solawi-Kollektiv Hutzelberghof“ steht. Solawi steht für „Solidarische Landwirtschaft“. Ein schmaler Gang führt mich hinunter zum Haus. Ich laufe an Türen vorbei, an welchen fein geschnitzte Schilder mit den Worten „Käserei“ und „Backstube“ befestigt sind. Links von mir blicke ich in einen leeren Stall, der sich entlang des schmalen Weges säumt. Rebecca erwartet mich schon mit einer Tasse Tee und einer Portion Zeit, die sicherlich im trubeligen Alltag des Hofes nicht leicht frei zu schaufeln war.
Ich befinde mich auf dem Hutzelberghof im nördlichen Hessen bei Witzenhausen. Auf diesem Betrieb kommen gleich mehrere spannende Themenfelder bezüglich einer kleinstrukturierten und zukunftsorientierten Landwirtschaft zusammen: Vom Aufbau einer Kollektivstruktur bis hin zum Anspruch Käse und Fleisch zusammen zu denken. Aber lest selbst!
Ein Kollektiv entsteht
Rebecca: „Für mich bedeutet Leben und Arbeiten im Kollektiv, dass wir gemeinsam zukunftsfähige Orte schaffen, in denen sich Menschen wohl fühlen können und lange und gerne dabei bleiben. Wir möchten Hierarchien abbauen und uns auf Augenhöhe begegnen. Zeitgleich besteht der Anspruch einen Betrieb zu führen, der deutlich hervorhebt, dass die Ernährung alle etwas angeht. Verantwortung, Arbeit und Besitz sollten auf vielen Schultern verteilt sein. Daher haben wir uns für eine kollektive Struktur und eine Abnehmer:innen-Gemeinschaft in Form einer Solawi entschieden.“
Anfang des Jahres hat eine Gruppe von 10 Personen den langjährig bestehenden „Schulbauernhof Hutzelberghof“ übernommen, um ihn auf einen solidarisch wirtschaftenden Betrieb umzustellen. Etwa 1,5 Jahre Arbeit stecken hinter dieser Entscheidung. Anfangs waren es Einzelpersonen, die vom Verkauf des Hofes hörten und nach weiteren Interessierten fragten. Die daraus entstehende kleine Kerngruppe durchlief Prozess- und Planungsphasen: Sie starteten damit, ein Konzept für den Hof zu entwickeln und die Kommunikation und Verhandlungen mit den Besitzer:innen aufzunehmen. Die größte Aufgabe bestand darin, die Finanzen zu klären: Kaufen oder Pachten? Woher kommt das Geld?
Die Unsicherheit rund um diese Fragen und Grundsatzentscheidungen führten anfangs zu viel Fluktuation. Das Kollektiv entschied sich daraufhin dem Gruppenprozess viel Raum zu geben und zunächst Rollen und Leitbilder zu klären. Eine externen Beratung hat die Umsetzung des Konzepts vor Ort begleitet. Die BioBoden-Genossenschaft kaufte die Hofstelle und die Flächen und verpachtete sie langfristig an das Kollektiv. Dieses wiederum kaufte den vorherigen Landwirt:innen die Tiere, Maschinen und alles weitere Inventar ab.
Jetzt wird’s konkret! Solidarische Landwirtschaft in der Umsetzung
Nun konnten sie die Verträge konnten unterschreiben und alle bürokratischen Hürden in den Angriff nehmen: Betriebsummeldung und Finanzen, Anmeldung als Verein, … Anschließend kümmerte sich die landwirtschaftliche Gruppe vor allem um anstehende Kalbungen, bereitete die erste Auslieferung der Milchprodukte an die Solawi*-Mitglieder vor und nahm die Kooperation mit dem Schulbauernhof wieder auf. So begleiten wöchentlich wechselnd Schüler:innen Arbeiten auf dem Betrieb, melken Kühe und verarbeiten die Milch. Dem Kollektiv ist es ein Anliegen, den Bereich der pädagogischen Arbeit weiterhin auf dem Betrieb zu sehen und es den Kindern zu ermöglichen, die solidarische Landwirtschaft hautnah zu erleben. Zeitgleich baut eine Gärtnerinnen-Gruppe seit Anfang des Jahres den Bereich der Solawi-Gärtnerei auf dem Betrieb auf.
Vielfalt, Solidarität und Transparenz
Ihr merkt: Der Betrieb ist divers aufgestellt. Zusätzlich zu Tierhaltung, Gemüsebau, Käserei, Ackerbau und Pädagogik gibt es außerdem noch eine Bäckerei. Eine weitere Ebene bilden die Ansprüche und Vorstellungen, mit denen die Gruppe arbeitet. Der Betrieb soll sich betriebswirtschaftlich rechnen, gut bezahlte Arbeitsplätze, eine Standort-angepasste solidarische Landwirtschaft ohne Leistungsdruck für Tiere und Menschen bieten. Es ist ihnen ein Anliegen, kollektive Strukturen in der Landwirtschaft zu erproben und aufzuzeigen, dass ein Betrieb nicht von Einzelnen oder einer Familie getragen werden muss. Überall begegnet ihnen die Herausforderung, dass hohe, reale Preise für Lebensmittel aus kleiner Landwirtschaft langfristig kleine Betriebe zerstört.
Durch ihr Konzept möchten sie Konsument:innen einbinden in die Lebensmittelproduktion und sie einladen, gemeinsam an zukunftsfähigen Strukturen zu planen. Sie weisen ihnen klar eine Verantwortung zu, sind transparent in ihren Strukturen und Entscheidungen. Aus Überzeugung, denn laut Rebecca ist „eine kleinstrukturierte Landwirtschaft heute nicht mehr finanzierbar, wenn Konsument:innen nicht wissen, wofür sie zahlen.“
Um all diese Bereiche unter einen Hut zu bekommen, bedarf es einer gut durchdachten Arbeits-Struktur. Die Gruppe besteht insgesamt aus 12 Personen, davon sind zwei Kinder. Das Kollektiv trifft sich wöchentlich mit unterschiedlichem Fokus und einer Delegierten-Struktur aus allen Arbeitsbereichen. Damit sich keine Konflikte anstauen, spricht die Gruppe monatlich über ihre Zusammenarbeit und persönliche Themen. Dazu kommt ein ganzer Tag alle 2-3 Monate, den sich die Gruppe für soziale und persönliche Themen wie Konflikten, personellen Veränderungen oder Wohnraum nimmt.
Ohne Fleisch kein Käse!
Bei den Ernteanteilen der Solawi werden sowohl Gemüse-Anteile als auch Anteile mit tierischen Produkten vergeben – und das mit einem besonderen Anspruch: Wer Milch konsumiert, muss auch das Fleisch abnehmen. Denn Kuhmilch kann schließlich nur entstehen, wenn Kühe ein Kalb geboren haben. Im derzeitigen Wirtschaftssystem bedeutet dies, dass der Großteil der Kälber gemästet und geschlachtet wird. Kein Betrieb kann es sich leisten, die gesamte Herde der aus der Milchwirtschaft entstehenden Tiere bis an ihr Lebensende zu halten. Ökosysteme würden aufgrund der Menge an Tieren zusammenbrechen. Zum Konsum von Milch, Jogurt und Käse gehört auch das Töten von Kühen. Selten werden Konsument:innen so stark mit diesem Fakt konfrontiert wie hier.
Tierhaltung auf dem Hutzelberghof
Durch die extensiven Standorte und alten Obstbestände mit Kirschen sowie der gut eingerichteten Käserei auf der Hofstelle, war es naheliegend für das Kollektiv die Tierhaltung weiter zu führen. Die Größe der drei Rinderherden der Rasse „Angler alte Zuchtrichtung“ ist an die 18 Hektar Grünland des Hofes gekoppelt. Auch die Wahl der Rasse ist an den Standort und der kleinen Struktur angepasst. Die Tiere befinden sich ganzjährig draußen und werden hauptsächlich mit Gras und Heu gefüttert. Es gibt eine Herde von 5-8 Milchkühen und jeweils eine Gruppe mit männlicher und eine mit weiblicher Nachzucht. Zwei bis drei Monate im Jahr läuft ein Bulle mit der Herde mit und besamt die weiblichen Rinder. Im Frühjahr kalben die Kühe dann zusammen ab.
Als Grundsatz für die Fütterung werden keine Lebensmittel für die Tiere verwendet, welche für die menschliche Ernährung in Frage kommen (Feed no Food*). Die Kühe bekommen Ausputzgetreide sowie Mineralfutter und Salz. Durch die Wahl der Rasse, die nicht auf hohe Milchleistungen gezüchtet wurde, sowie das Weglassen von „Leistungsfutter“ müssen die Tiere keine bestimmte Leistung erbringen. Ein weiterer Teil der Milch wird durch die Muttergebundene Kälberaufzucht von den Kälbern selbst getrunken. Muttergebunden bedeutet, dass die Kälber auf dem Hutzelberghof nach der Geburt zunächst 2-3 Monate mit ihrer Mutter zusammenleben und erst nach und nach mit immer längeren Abständen von ihnen getrennt werden. Während dieses Prozesses – und auch während der Wintermonate – werden die Tiere nur 1 Mal täglich gemolken. Die Milch wird mit dem mobilen Melckstand direkt auf der Fläche abgemolken und anschließend in der Käserei verarbeitet.
Neben den 3 Rinderherden gehören auch 3 Schweine zum Betrieb. Diese verwerten die anfallende Molke aus der Käserei und landen letztlich auch im tierischen Solawi-Anteil.
Solidarische Landwirtschaft mutig und innovativ
Insgesamt befindet sich der Hof heute noch in der Aufbauphase und wird sich in den nächsten Jahren noch stetig weiterentwickeln. “Vor allem der Zuspruch und die Unterstützung von befreundeten Projekten, Netzwerken und Einzelnen hat uns die Übernahme des Betriebs ermöglicht“, blickt Rebecca zurück. Herausfordernd sei die Kommunikation mit öffentlichen Stellen wie Behörden, da sie nicht dem Standardbetrieb entsprechen und dadurch Skepsis auslösen. Es sei auch unklar, ob sie langfristig die gesamte Finanzierung des Betriebs solidarisch gestalten können. Dies sei von der Politik und von den Konsument:innen abhängig.
Rebecca wünscht sich von der Politik, dass sie die Bildungsarbeit rund um Lebensmittelwertschätzung vorantreibt und dies nicht kleine Betriebe neben ihrem landwirtschaftlichen Arbeitsalltag leisten müssen. „Denn Lebensmittel aus kleinteiliger Landwirtschaft haben einen anderen Wert, für den es sich lohnt, Geld auszugeben. Ich wünsche mir, dass die Verbraucher:innen uns von sich aus die Türen einrennen.“