Menschenkette auf der Edertalsperre gegen den geplanten Massentierstall

Bürgerinitiative Waldeck und AGA Nordhessen

Warum sind Bürgerinitiativen wichtig?

Wo leben sie denn, die Tiere, die ihre Hähnchenschenkel hergaben, welche sich reichlich gewürzt auf den Tellern eines Großteils der Bevölkerung tümmeln? Fast 22 kg wurden pro Kopf in Deutschland 2021 verbraucht. Der Appetit der Konsument:innen auf das weiße Fleisch führt nach wie vor dazu, dass neue Megaställe geplant und realisiert werden. Zeitgleich wächst der Widerstand, welcher in Form von Bürgerinitiativen (BI‘s) quer durch das Land zu finden ist. Diese kämpfen gegen die geplanten Neu- oder Umbauten. Warum das wichtig ist?

Weil große Mastanlagen nichts mit bäuerlicher Landwirtschaft zu tun haben, Klima und Umwelt ruinieren und Lebensgrundlagen im Globalen Süden zerstören. Ganz abgesehen von den Bedingungen unter denen die Tiere dort gehalten werden. In Deutschland werden jährlich 653 Mio. Hühner, 55 Mio. Schweine, 34 Mio. Puten und 2,4 Mio. Rinder geschlachtet. Ein Großteil davon wird zuvor in industriellen Mastanlagen gehalten. Konzerne und nicht bäuerliche Betriebe halten diese Tiere in den Mastställen ohne ausreichend eigene Flächen, auf denen Gülle und Mist zu Nährstoffen werden könnten. Stattdessen verschmutzen diese dann Umwelt und Grundwasser. Die notwendigen Futtermittel für die Tiere in den Mastanlagen werden zum Großteil im Ausland angebaut und importiert, sodass die Flächen dort nicht mehr den Menschen vor Ort für ihre Ernährung zur Verfügung stehen. Die Konzerne können über die großen Mengen zu günstigeren Preisen als bäuerliche Betriebe produzieren und befeuern so zusätzlich das Höfesterben.

Zusammen stark: Das Aufstehen gegen Tierfabriken lohnt sich!

Eine Vielzahl an Bürger:innen-Initiativen ist heute aktiv und wehrt sich gegen den Neubau oder die Erweiterung von Mastanlagen. Sie können bereits auf einen langjährigen Erfahrungsschatz erfolgreich durchgeführter Kämpfe zurückgreifen. Wie sie das geschafft haben, können wir beispielhaft von der„Bürgerinitiative Waldeck“ erfahren. Sie haben sich regional vernetzt mit der Dachorganisation „Aktionsgemeinschaft Agrarwende Nordhessen“. Durch die übergeordnete Ebene wird neben Vernetzung und Erfahrungsaustausch auch verhindert, dass sich das Problem lediglich an einen anderen Standort verlagert.

Bürgerinitiative Waldeck Bürgerversammlung
Im Juni 2017 lud die neu gegründete BI Waldeck erstmals zu einer Bürgerversammlung ein. Das Interesse war riesig und der Zahl platzte aus allen Nähten. (Foto S. Betzler)

Die Bürgerinitiative Waldeck – Eine Erfolgsgeschichte

Eine ordentliche Portion Mut und Beharrlichkeit waren mit im Spiel, als sich die „Bürgerinitiative Waldeck“ zwei Jahre lang mit Erfolg gegen eine Hähnchenmastanlage für etwa 80.000 Tiere im Urlaubsort Waldeck am Edersee (Nordhessen bei Kassel) einsetzte. Nur durch Zufall erfuhren Einzelne im Jahr 2016 von den Bauplänen für die Megamastanlage. Nachdem die wesentlichen Informationen über die Pläne eingeholt worden waren, wurde klar – es müssen Gespräche mit Politiker:innen und der Bevölkerung stattfinden. Denn einerseits war die Kommunalpolitik dem Bau gegenüber größtenteils positiv eingestellt, andererseits hatte die örtliche Bevölkerung keine Informationen erhalten.

So haben die Mitglieder der Gruppe Veranstaltungen organisiert, sind an die Presse herangetreten und haben auch überregional mobilisiert, denn der Urlaubsort Waldeck hat viele Tourismus-Fans. Währenddessen fragten sie nach Unterstützung von anderen erfolgreichen Bürgerinitiativen gefragt.

Aktionsgemeinschaft Agrarwende Nordhessen

Auf diese Weise kam Andreas Grede von der heutigen „Aktionsgemeinschaft Agrarwende Nordhessen“ (AGA) hinzu, der schon Jahre zuvor die Bügerinitiative Chattengau mitaufgebaut hatte. Diese wehrte sich damals gegen den neuen Geflügelgroßschlachthof Plukon in Gudensberg. Die BI Waldeck formierte sich: Im August 2017 waren bereits 593 Mitglieder zu verzeichnen, ein Großteil daraus aus Waldeck. In Form einer Unterschriftenaktion wurden 1352 widerständige Stimmen an die Politik herangetragen. Martin Häusling (Abgeordneter im Europaparlament und Aktivist für bäuerliche Landwirtschaft) sowie andere Expert:innen wurden eingeladen und sprachen wiederholt öffentlich von den Vorgängen in Waldeck. Der Hessische Rundfunk (HR) und Lokalzeitungen berichteten.

Außerdem wurden die Kompetenzen aus der Gruppe selbst genutzt: Wissen um Grafik und Werbung, souveräne Moderation, Verbindungen zum Gesundheitsamt und Umweltbüro trugen maßgeblich zum Erfolg bei.

Protest gegen Belastung durch LKW-Verkehr

Genau betrachtet hat die BI, ob die angegebenen Flächen zur Futtergewinnung ausreichen und tatsächlich als Ackerflächen vorhanden sind. Hier gab es Unstimmigkeiten. Ein weiterer wichtiger Punkt war die Zufahrt zu den geplanten Mastanlagen, die nicht gefahrlos möglich gewesen wäre. Außerdem waren die Feldwege für eine dauerhafte Belastung durch LKWs nicht ausgelegt. Ein Mathematiker rechnete die Zahlen aus dem Bauantrag genau durch – ein weiterer wesentlicher Schachzug, welcher Defizite vor allem im Bereich Emissionen bezogen auf das Haltungsverfahren aufzeigte.  Es wurde ein auf Umweltrecht spezialisierter Rechtsanwalt eingeschaltet.

Der Widerstand wächst

Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde die Finanzierung des Widerstands zum Thema, woraufhin die Bürgerinitiative Spenden auf selbstorganisierten Märkten im Ort sammelte. Diese waren gut besucht und dienten zugleich der Informationsweitergabe und Möglichkeit, im Gespräch zu sein. Nun war es auch an der Zeit, das Verfahren genau im Auge zu behalten und zum richtigen Zeitpunkt Einwendungen (sog. rechtsgültige Gegenstellungnahmen zum Bauvorhaben in Papierform) zu schreiben. Die Aktiven der Bürgerinitiative verwendeten viel Mühe darauf einfache Vorlagen zu liefern, um möglichst viele Menschen zum mitmachen anzuregen. Schließlich konnten auf diese Weise mehr als 700 Einwendungen  an das Regierungspräsidium Kassel übergeben werden.

Höhepunkt und Sieg der Proteste

Unvergesslicher Höhepunkt der kreativen Aktionen in Waldeck war die aus etwa 600 Personen bestehende Menschenkette auf der Staumauer der Edertalsperre im Herbst 2018. Wegen der zahlreichen Pressemitteilungen und eindrucksvollen Bilder konnte der Widerstand der Bevölkerung weit getragen werden. Ebenso blieben die Märkte im Herbst und im Frühjahr auf dem Waldecker Marktplatz in schöner Erinnerung. Oftmals war die Zeit in den zwei Jahren des Widerstands sehr anstrengend – doch der Zusammenhalt in der Gruppe haben Energie und Mut gegeben. Im Frühjahr 2019 zog der Investor seinen Bauantrag zurück und das Vorhaben wurde eingestellt.

Was hat diese Bürgerinitiative erfolgreich sein lassen?

Aufgrund der überaus guten Pressearbeit, Bündelung der eigenen Kompetenzen, Vernetzung und viel Durchhaltevermögen konnte die Mastanlage verhindert werden.

Deshalb haben wir für euch die 10 Schritte zusammengefasst dargestellt, welche die BI Waldeck erfolgreich gegen die Mastanlage durchlaufen hat. Falls ihr einmal in eine solche Situation kommen solltet, vielleicht ja auch ein Fahrplan für euch?

1)    Informationen einholen
2)    Gespräche mit Politiker:innen und Bevölkerung
3)    Informationsveranstaltungen organisieren
4)    Öffentlichkeitsarbeit: Einbindung der Presse
5)    Größe des Widerstands deutlich machen: Unterschriften sammeln
6)    Kompetenzen aus der Gruppe nutzen
7)    Rechtsanwalt (mit Spezialisierung in Umweltrecht) einschalten
8)    Finanzierung klären: Märkte veranstalten
9)    Einwendungen schreiben
10)    Öffentlichkeitswirksame Aktionen organisieren

Wenn nicht hier, dann halt woanders?

Falsch gedacht! Aus der Erfolgsgeschichte in Waldeck und anderen BI’s hat sich im Jahr 2018 eine ehrenamtliche Gruppe Engagierter gegründet, die andere Bürger:innen-Initiativen bei der Umsetzung ihrer Forderungen unterstützt.

Außerdem steht der Verein „Aktionsgemeinschaft Agrarwende Nordhessen e.V. (AGA)“ bereits aktiven oder neuen Bürger:innen-Initiativen zur Seite und unterstützt durch Expertise in Sachen Rechtsfragen, Mobilisierung und Öffentlichkeitsarbeit. Zudem setzt sich der Verein heute als Dachorganisation von selbstständigen Bürger:innen-Initiativen neben dem Abwenden von industriellen Großanlagen auch für eine Agrarwende hin zu einer ökologischeren und zukunftsfähigen Landwirtschaft ein. Die AGA ist in Form von Projektgruppen organisiert und erstellt unter anderem Bildungsmaterialien für Schulen, Ausstellungen zum Thema Agrarwende und organisiert Demos an Tatorten der industriellen Landwirtschaft. Sie rufen dazu auf, sich für eine ökologischere und an den Bedürfnissen der Tiere orientierte Landwirtschaft einzusetzen und stellen ihre Forderungen öffentlichkeitswirksam an die Agrarpolitik. Insgesamt freuen sie sich dabei immer über Unterstützung, sei es als Mitwirkende oder durch Spenden für ihre ehrenamtliche Arbeit.

Noch mehr erfahren?

Diese Vorstellung ist Teil unserer Initiativen-Serie zum Thema Tierhaltung. In der Übersicht findest du weitere spannende und inspirierende Initiativen.