Sojaanbau in Brasilien für die Massentierhaltung
Heute reisen wir gedanklich ca. 9000 km in den Süden von Brasilien zur Landlosenbewegung (MST). Südlich der Millionenstadt São Paulo liegt der Bundesstaat Paraná. Paraná ist eines der größten Sojaanbaugebiete in Brasilien. Und hier liegt auch Brasiliens wichtigster Exporthafen für Agrargüter, wie Sojabohnen. Von Paraná aus geht Soja vor allem nach China und Europa, um dort z.B. als Futter in der Massentierhaltung die Tröge zu füllen.
Großgrundbesitzer:innen vs. Kleinbäuerliche Landwirtschaft
Während sich im Norden von Paraná riesige Monokulturen aneinanderreihen und Großgrundbesitzer:innen das fruchtbare Land beherrschen, sieht es einige Kilometer weiter südlich ganz anders aus: Kleinbäuerliche Landwirtschaft und agrarökologische Anbauformen. Antônio Andrioli von der Universität UFFS (Universidade Federal da Fronteira Sul) in Brasilien spricht von einer „Hochburg kleinbäuerlicher Landwirtschaft in Brasilien“. Vor nicht allzu langer Zeit sah es hier nicht anders aus als im Norden. „Vor 25 Jahren aber gab es hier eine große Umverteilung von Land“.
Heute gilt diese Region als der größte Erfolg der Landlosenbewegung in Brasilien.
Wie haben es die Landlosen geschafft, sich eigenes Land in einer Region von riesigen Sojaplantagen und Großgrundbesitz zurückzuerobern?
Was ist die Landlosenbewegung eigentlich?
Wir haben mit Professor Antônio Andrioli gesprochen, der zu den Auswirkungen des Sojaanbaus in Brasilien forscht und eine Universität in der Region der Landlosen mit aufgebaut hat. Außerdem möchten wir mit euch die Geschichte von Darci und Marli Teresa da Silva kennenlernen, die als Landlose in Paraná landeten und über die größte Landlosen Bewegung in Brasilien (Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra, MST) an Land gekommen sind.
Wie begann die Landlosenbewegung?
Darci und Marli sind vor 25 Jahren, 1997, nach Laranjeiras do Sul in Paraná, gekommen. „Wir waren 7 Gruppen. Jede Gruppe bestand aus 10 Familien und jede Familie hatte ein Taiâo (kleines Stück Land)“, so Marli. „Jede Familie fing an etwas anzubauen: zuerst Bohnen, Maniok und Kartoffeln. Das haben wir auch gemacht. Damals haben wir kleine Äcker angelegt.“ Wie Darci und Marli campen alle Landlosen der MST Bewegung zunächst auf den Flächen in sogenannten „acampamentos“. Die Landlosenbewegung möchte so Druck auf die Regierung ausüben. Denn die brasilianische Verfassung schreibt vor: Land muss sozial verantwortlich genutzt werden, sonst wird es im Rahmen der sogenannten Landreform zu Gunsten von Menschen, die das Land besser nutzen, enteignet. Dies ist allerdings oft mühsam und häufig auch erfolglos. Doch Darci und Marli Teresa hatten Glück. Seit 2000 haben sie offiziell den Zugang zum Land und dürfen produzieren.
Land besetzen, muss das sein?!
Da Landbesetzungen nicht legal sind, wird diese Form des Aktivismus der Landlosenbewegung auch oft kritisiert. Doch Andrioli sagt hierzu: “Es gibt keinen einzigen Hektar Land, der im Sinne der Landreform behandelt wurde, der nicht vorher besetzt wurde. Was kann man tun außer Land zu besetzen? Denn auch in den fortschrittlichsten Regierungen unter Lula* ist die Landreform nur umgesetzt worden, nachdem es eine Landbesetzung gegeben hat, also nur aufgrund des Drucks der Landlosen.“
Der Pestizideinsatz und seine Folgen
Das Land, das Darci und Marli bewirtschaften, gehörte vorher zu einer 1200 ha großen Sojaanbaufläche. Bäuer:innen, die Soja in der Gegend anbauen, nutzen oft gentechnisch verändertes Soja, das sie mit starken Pestiziden behandeln. So ist Paraná auch der zweitgrößte Verbraucher von Pestiziden in Brasilien. Der Anfang war für Darci und Marli nicht leicht: „Sie nutzen hier ein Agrargift, das zu langfristigen Mängeln im Boden führt.“, so Darci. „Bevor wir mit dem Gemüseanbau anfingen, hatten wir Milch produziert, das hat den Boden schon ein Stück weit entgiftet.“
Sieben Jahre hat es gedauert, bis sie Gemüse anbauen konnten.
Milchproduktion und agrarökologischer Gemüseanbau
Ernährung vom eigenen Anbau
Für Darci und Marli war die alleinige Milchproduktion nicht der richtige Weg. Sie wollten sich vielseitiger aufstellen, sich auch von ihrem eigenen Anbau ernähren, um so auch in Zukunft bestehen zu können. Und so kam es, dass sie dann anfingen, in den agrarökologischen Gemüseanbau einzusteigen.
„Wir hatten immer noch Schulden. Aber irgendwann mussten wir nicht mehr Futter und Dünger zukaufen, da wir die Produktion runter gefahren haben. Diese Transformation war nicht leicht, wir haben viel gelitten, aber jetzt kriegen wir auch was zurück.“
Schweine, Schafe und Hühner
Darci und Marli versorgten sich dann mit dem angebauten Gemüse selbst und verkauften es auch auf den lokalen Märkten. Und auch Schweine, Schafe, Hühner und Enten kamen dazu, Fleisch für die Familie und den Verkauf.
Darci freut sich über den vielfältigen Hof: „Ende des Jahres, wenn wir das Weihnachtsessen machen, haben wir drei bis vier unterschiedliche Fleischarten. Alles von hier, vom Haus. Und unsere Gäste wollen immer dafür bezahlen und wir sagen, „nein, das haben wir doch alles hier!“. Es ist nicht billig, aber wir haben es hier, wir haben Zugang dazu.“ Die Tiere sind auf dem Hof „hier und da und überall unterwegs“, lacht Darci, sie werden von eigenem Futter ernährt. Um sich selbst zu versorgen, müssen Darci und Marli nur etwas Weizen und Reis zukaufen, viel mehr sei es nicht, so die beiden.
Erfolge der Landlosenbewegung (MST)
Die Landlosenbewegung nutzt Land produktiv
Wie auch Darci und Marli konnten mithilfe der MST in ganz Brasilien mindestens 450 000 Familien an eigenes Land kommen, weitere 90 000 Familien besetzen derzeit das Land noch. „Im Gegensatz zu den Großgrundbesitzer:innen nutzen die Landlosen der MST die Flächen meist sehr produktiv“, erklärt mir Andrioli.
Größter Bioreisproduzent in Brasilien
Mit einem System an Genossenschaften, das die Landlosenbewegung MST aufgebaut hat, sind sie nun sogar der größte Bioreisproduzent in Brasilien geworden. „Außerdem führen die Ansiedlungen dazu, dass sich die Familien wieder selbst ernähren können und sich sogar besser ernähren, als der durchschnittliche Kleinbauer Brasiliens.“, so Andrioli. Denn die Bauern der MST Bewegung wirtschaften oft auch agrarökologisch. „Weil sie die Agrarökologie als Pflicht ansehen, nachdem sie das Land ja schonmal verloren hatten“, so Andrioli.
Gemeinden werden lebenswerter
Die Landlosenbewegung MST verhilft nicht nur einzelnen Landlosen zu Perspektiven in der Landwirtschaft, sondern trägt auch dazu bei, dass die Gemeinden wieder lebenswerter werden: Denn die ehemals Landlosen sind es, die nun viele landwirtschaftliche Produkte in eine Region bringen, in denen vorher Großgrundbesitz dominierte, von dem die Menschen vor Ort nichts hatten.
Zugang zu Bildung
Die Landlosen seien auch die größten Steuerzahler, so Andrioli. Es entstehen Schulen und Märkte, die Städte entwickeln sich. „Und sogar eine Universität ist entstanden“, Andrioli lacht. Er meint die Universität UFFS, die er mit aufgebaut hat. Auch Darci und Marli waren bei den ersten Diskussionen um die Gründung der Universität mit dabei.
„Wir wollten, dass die Uni kommt und dazu beiträgt, dass die Hungerkrise, die es hier in der Region gab, aufgehoben wird. Und ich denke, dass das passiert ist.“ Die Universität inmitten der Landlosensiedlung trägt dazu bei, dass nun bäuerliche Familien, Landlose, Indigene und speziell auch Frauen den direkten Zugang zu Bildung haben.
Und so sind auch die meisten der Studierenden der Universität Indigene und Landlose. „Das ist etwas Besonderes in Brasilien, sie haben auch mitbestimmt, welche Studiengänge die Uni anbietet,“ so Andrioli. Darci und Marli werden auch manchmal in die Uni eingeladen, um ihr biologisches Gemüse zu verkaufen.
Fruchtbare Zusammenarbeit: Landlosenbewegung und Studierende
Inzwischen arbeiten sie auch viel mit der Universität zusammen: Studierende lernen bei ihnen auf dem Hof agrarökologische Praxis, z.B. die Bewässerung von Früchten und Gemüse, die Klauenpflege der Schafe, über die Weinberge,… Und sie unterstützen die Studierenden auch, wenn sie bei ihnen forschen möchten. „Sie lernen von uns und wir lernen von ihnen“, so Darci.
Copyright: Ronaldo Cesar Darós
Was können wir in Europa tun?
Durch unseren Fleischhunger und den damit einhergehenden Bedarf an Soja als Futtermittel, befeuern wir in Europa den großflächigen Sojaanbau in Monokulturen und die ungleiche Verteilung von Land in Brasilien.
Ein großes Problem ist laut Andrioli auch, dass Verbrauchende in Europa z.B. nicht erkennen können, ob das Fleisch, die Milch oder Eier, die sie kaufen, von Tieren stammen, die mit gentechnisch verändertem Soja gefüttert wurden.
So könnten sie es auch nicht ablehnen. „So wie man jetzt auch Russland sanktioniert, sollte Europa darauf verzichten, Soja zu importieren, das mit Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung zu tun hat. Und damit meine ich Sklaven– und Kinderarbeit, Entwaldung & Pestizideinsatz, das gibt es nämlich in der Sojaproduktion.“
Pestizide aus Europa
Andrioli setzt sich für die Entwicklung eines Sojasiegels ein, das dies sichtbar macht. „Es müsste aber geprüft werden, dass sich die Bauern auch wirklich an Regeln halten.“
Ein weiterer Ansatzpunkt sei es nach Andrioli, die gesundheitlichen Auswirkungen der Pestizide im Sojaanbau näher zu untersuchen.
„Bayer hat 12 Pestizide in Brasilien im Einsatz, die in Europa nicht zugelassen sind, die BASF hat 13.„
„Die Regierungen, auch die europäischen, müssten wissenschaftliche Untersuchungen finanzieren, die die Auswirkungen von Soja auf die Gesundheit von Menschen vor Ort zeigen“. Mit dem Nachweis von gesundheitlichen Schäden könnten wir alle Druck auf die deutsche Regierung machen. Denn diese hat auf Seite 151 im Koalitionsvertrag festgehalten, dass sie den Export von Pestiziden untersagen würde, sollten diese der menschlichen Gesundheit schaden.
Auf die Frage, was sie sich von Engagierten in Deutschland und Europa wünschen, antwortet Darci:„Ich habe den Wunsch, dass wir uns zusammentun und uns gegenseitig stärken. Oft denken wir nur an unsere Organisationen. Aber wenn uns bewusst wird, dass wir auch im Ausland Genossen haben, auch in Deutschland, das, meine Güte, macht uns sehr froh. Zu wissen, dass sie auf dem selben Weg sind, wie wir.“ Marli ergänzt: „Und dass sie sich noch stärker wehren, denn heutzutage wissen wir: Wer Lebensmittel produziert, das sind die Kleinbauern, nicht das Agrarbusiness“.
Vielen Dank an Antônio Andrioli, Darci und Marli Teresa da Silva und Liria Ângela Andrioli. für die interessanten Gespräche und Einblicke!