Recherchetour Spanien zum Fleischkonzern Tönnies
Vom 11. – 19. April 2023 waren wir in der zentralspanischen Region Aragón unterwegs, um mehr herauszufinden über das neue Schlachthofprojekt von Fleischkonzern Tönnies. Dabei trafen wir uns mit Aktiven und Engagierten, die sich gegen Fleischkonzerne und industrielle Tierhaltung in der Region einsetzen. Von ihnen konnten wir viel erfahren über die Entwicklung der Region, die Situation der Höfe vor Ort und bestehende Umweltprobleme, die dringend gelöst werden müssen.
Riesige Schweinemastanlagen
Wir fahren mit einem Leihwagen durch das karge Land in der zentralspanischen Region Aragón, in dem der deutsche Fleischkonzern Tönnies große Pläne hat. Wir sehen zunächst kaum Dörfer oder Menschen. Lediglich riesige Schweinemastanlagen tauchen immer wieder entlang des Weges auf. Aragón hat 1,3 Millionen Einwohner:innen – etwa die Hälfte davon lebt in der Hauptstadt Zaragoza. Viele sind seit den 1970er Jahren auf der Suche nach Arbeit in andere Landesteile ausgewandert.
Uns dämmert, dass in dieser ärmlichen, ländlichen Region Fleischkonzerne wenig Widerstand gegen ihre Ausbaupläne zu befürchten haben. Wir treffen Menschen, die sich mutig gegen industrielle Tierhaltung einsetzen.
Probt Fleischkonzern Tönnies in Spanien die extrem industrialisierte Schweinehaltung?
Ruth, die Sprecherin des Bündnisses Stop Ganaderia Industrial Aragón (Stoppt die industrielle Tierhaltung in Aragón ) berichtet uns, dass in Aragón Schweinehaltung komplett vertikal integriert sei. Was sie meint: es gibt hier, anders als in Deutschland, einfach überhaupt keine (Familien-)Betriebe in mittlerer Größe mehr, die Masttiere halten und Futter für diese zumindest teilweise auf eigenen Flächen erzeugen. Stattdessen gibt es nun die Integradores. Integratoren sind Großkonzerne. Sie mieten die Ställe ehemaliger Bäuer:innen, darin bringen sie ihre Mastschweine unter. Futter für die Tiere kaufen die Großkonzerne günstig am Weltmarkt. Auch die tierärztliche Versorgung übernehmen Veterinär:innen der Konzerne oder Subunternehmen. Die ehemaligen Bäuer:innen sind lediglich für die Instandhaltung der Gebäude zuständig, je nach Vereinbarung pflegen sie auch die Masttiere. Ähnliches kennen wir in Deutschland bei der Geflügelindustrie.
Gesprächsrunde in Zaragoza
Probleme der Kleinbauern und Bäuerinnen
Javier, Bauernverbandsfunktionär aus der Region, wirbt für Verständnis. Die Situation der Tierhalter:innen sei in der Vergangenheit sehr schwierig gewesen. Bäuer:innen mit extensiver Viehhaltung konnten bei den lange geringen Preisen und hohen Kosten nicht mithalten. Viele haben deshalb schon vor Jahren aufgegeben. Durch die Vermietung ihrer ehemaligen Hofstellen können sie nun etwas hinzuverdienen. Er sieht die Probleme durchaus. Niemand trägt mehr die Folgekosten und wird zur Rechenschaft gezogen. Transnationale Konzerne lassen Futter aus Südamerika ranschaffen, sorgen dafür, dass Unmengen an Mastanlagen entstehen, schlachten die Tiere in Großschlachtereien und exportieren das Fleisch gewinnbringend in alle Welt. Was bleibt ist eine stark belastete Umwelt, Unmengen zusätzlicher Klimagase und eine zerstörte regionale Landwirtschaft.
Wir selbst fragen uns: Wenn es keine unabhängigen Höfe mehr gibt, woher nimmt Tönnies die Schlachtschweine für die neue Fabrik? Steigen sie nun selbst in die Produktion ein?
Hof-Ruine mit Mastanlage im Hintergrund
Gemeinsame Demo in Zaragoza gegen Fleischkonzern Tönnies
Gemeinsam mit Aktiven gehen wir auf eine Demonstration gegen Konzernmacht in der Hauptstadt Zaragoza. Es gibt hier einen großen Block gegen industrielle Tierhaltung, in dem wir mitlaufen und viele neue Kontakte knüpfen. Die Stimmung ist ausgelassen. Die Menschen halten bunte Schilder und Banner, die die Auswirkungen dieses kranken Systems benennen: Grundwasserverschmutzung, Geruchsbelastung, Tierleid, Tierarzneimittel in der Umwelt, Antibiotikaresistenzen, zerstörte Kulturlandschaften und bäuerliche Existenzen.
Bi-nationales Podium zum Tag des bäuerlichen Widerstands – gegen Fleischkonzern Tönnies
Viele Zuschauer:innen vor Ort und im Livestream
Ein weiterer Höhepunkt unserer Reise ist eine Podiumsveranstaltung, die wir gemeinsam mit Akteur:innen aus Spanien anlässlich des Tages des bäuerlichen Widerstands organisieren. Wir wollen aufklären über das „System Tönnies“, damit sich die Menschen vor Ort ihr eigenes Bild, unabhängig von dem positiven Presse-Image des „deutschen Konzerns“, machen können.
Wir sind spät dran und spurten in das wunderschön restaurierte ehemalige Casino von Huesca. Vorne wartet schon Presse für Interviews. Ungefähr 60 Personen allen Alters kommen zur Diskussion. Wir sind etwas nervös, aber der Abend läuft nach kurzen technischen Problemen super.
Afrikanische Schweinepest
Catharina erzählt von Tönnies, dem Fleischkonzern der in Deutschland alleine 31 Prozent Marktanteil hat. Sie berichtet vom bereits bestehenden Tönnies Schlachthof in Aragón und dem geplanten Megaschlachthof in Calamocha. Catharina erklärt auch, dass es in Deutschland seit 2020 immer wieder Fälle von Afrikanischer Schweinepest (ASP) gab. Aufgrund dessen haben viele Länder Importbeschränkungen für deutsches Schweinefleisch erlassen und der Exportmarkt ist für Tönnies zusammengebrochen. Spanien blieb bisher verschont, das Land ist daher nicht von Exportbeschränkungen betroffen. So wird es attraktiv für Fleischkonzerne wie Tönnies, die viel ins außereuropäische Ausland exportieren.
Jede Woche neue Preise für die Schweine
Aus Deutschland zugeschaltet ist Martin Schulz, Schweinehalter und Vorstand der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft. Er berichtet, wie Fleischkonzern Tönnies schon in Deutschland wesentlich dazu beigetragen hat, dass in den letzten Jahren viele kleine und mittlere schweinehaltende Betriebe aufgeben mussten: „Tönnies hat eine extrem wirtschaftliche Schlachtung betrieben, mit allen Methoden, die gerade noch so akzeptiert wurden, also unter enormer Ausbeutung von Menschen und Bäuer:innen.“ Das Unternehmen habe jede Woche neue Preise für die Schweine festgelegt, bis der Preis genau da gewesen sei, wo Tönnies ihn haben wollte.
Prekäre Beschäftigungsverhältnisse während Corona
Auch auf dem Podium dabei ist Zlatina Doneva. Sie ist Rechtsberaterin für migrantische Arbeiter:innen in den Schlachthöfen und Verarbeitungsanlagen im Oldenburger Münsterland bei der Initiative ALSO. Sie erklärt, dass aufgrund der Corona-Skandale in mehreren Tönnies Schlachthöfen in Deutschland die extrem prekären Beschäftigungsverhältnisse offensichtlich wurden. Die Bundesregierung in Berlin verabschiedete ein Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit, alle Arbeiter.innen müssen nun direkt beim Unternehmen angestellt sein – und einen Mindestlohn von 12 Euro erhalten. Das hat zu deutlich höheren Kosten für Unternehmen wie Tönnies geführ und stellt ein weiteres Motiv für die Abwanderung nach Spanien dar.
Futtermittel-Importe für Großkonzerne
Isabell Fernandez von der Umweltorganisation Ecologistas en Acción wirft einen Blick auf die Rolle von Futtermittelimporten. Soja für Futtermittel wird durch wenige transnationale Großkonzerne aus Argentinien und Brasilien an spanische Häfen angeliefert und dann in das geostrategisch nahe gelegene Aragón zu den Tierfabriken verfrachtet, ein extrem optimiertes System.
Podiumsdiskussion: Was tun gegen Fleischkonzerne?
Im Anschluss gibt es noch eine lange Diskussion und viele Rückfragen. Es ergibt sich ein schlüssiges Bild, warum Tönnies gerade hier in Spanien Schlachthöfe kauft und neu baut. Total erschöpft von dem ereignisreichen Tag und den vielen neuen Erkenntnissen, fahren wir spätabends zurück in unsere Unterkunft.
Besuch beim Bürgermeister & Bunter Protest am zukünftigen Tatort
Wir treffen den Bürgermeister von Calamocha, wo der neue Tönnies- Megaschlachthof gebaut werden soll.
Auf dem Weg ins Rathaus
Calamochas Bürgermeister will Wirtschaft der Region stärken
Manuel Rando ist selbst Befürworter des Projekts und bestätigt uns im Gespräch, dass Fleischkonzern Tönnies es eilig habe, den Schlachthof zu eröffnen. Angesprochen auf die Frage, woher die zusätzlichen 2,4 Millionen Mastschweine kommen sollen, um den Schlachthof zu füttern, macht er eine ausladende Handbewegung und meint: „Schaut euch um, hier ist doch noch viel Platz für neue Mastanlagen.“ Die Gülleproblematik sieht er nicht. Er selbst werde dafür sorgen, dass es hier nicht zur Überdüngung und Verschmutzung des Grundwassers komme. Wie, das scheint er noch nicht so genau zu wissen. Die kommunale Kasse von Calamocha ist leer, die Region stark von Abwanderung geprägt, Wirtschaft siedelt sich woanders an. Manuel Rando will in Kürze wiedergewählt werden. Die langfristigen Konsequenzen seiner Entscheidungen, wird er aufgrund seines Alters nicht mehr tragen müssen. Wir sind ernüchtert.
Widerstand der Anwohnenden gegen Fleischkonzern Tönnies
Doch vor Ort gibt es auch Menschen, die eine andere Perspektive auf das Projekt haben. So zum Beispiel Pilar, eine Schafhirtin aus dem Ort. Jahrhundertelang wurden in der kragen Landschaft Schafe gehalten. Pilar ist eine der Wenigen, die noch diese traditionelle Form der extensiven Landbewirtschaftung betreiben. Sie will den neuen Schlachthof nicht und hat große Angst, dass für sie das Überleben durch zusätzliche Mastanlagen noch schwieriger wird.
Gemeinsam mit ihr und weiteren Anwohner:innen und Aktivist:innen aus der Region machen wir eine bunte Fotoaktion vor der Baustelle der geplanten Anlage um zu zeigen, dass wir nicht einverstanden sind mit Fleischkonzern Tönnies und der Fleischindustrie!
Protestaktion in Calamocha
Alles in allem war es für uns eine extrem spannende Reise: wir haben viel neues erfahren über Tönnies Motive, neue Schlachthöfe in Spanien zu bauen; konnten uns vernetzen mit Widerständigen vor Ort und planen nun weiteren Protest gegen dieses absurde Projekt und Tönnies.
Wir halten euch auf dem Laufenden!
Video-Statements zu unserer Reise
Aktion Agrar Recherche-Tour: Tönnies-Schlachthof in Aragón/Spanien
Nicky, Aktivistin aus der Region Aragón/Spanien
David Hammerstein, ehem. EU-Abgeordneter aus der Region Aragón/Spanien
Lucia von Aktion Agrar
Catharina von Aktion Agrar
Zlatina Doneva, Rechtsberaterin migrantischer Arbeiter:innen in DE
Pedro, Aktivist aus der Region Aragón/Spanien
Álvaro, Aktivist aus der Region Aragón/Spanien
Carmen, Aktivistin aus der Region Aragón/Spanien
Catharina von Aktion Agrar (to EU)
Pilar, Schafhirtin aus Calamocha/Spanien