Wie die Landvergabe die Landwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern prägt
Land in den Händen von Großbetrieben
5.000-Hektar-Betriebe sind in Mecklenburg-Vorpommern keine Seltenheit. Der Hauptteil der landwirtschaftlichen Nutzfläche wird von Betrieben mit über 1.000 Hektar Fläche bewirtschaftet. Dafür ist auch die Landvergabe-Praxis landwirtschaftlicher Flächen mit verantwortlich.
Intransparente Landvergabe bremst kleine Betriebe aus
Immer mehr Flächen in Deutschland werden nur noch verpachtet. Die Verpächter*innen entscheiden dabei selbst, an wen und für wie lange. Sie bestimmen auch, wer überhaupt von der Verpachtung erfährt. Leider führen diese Entscheidungen oft zu kurzen Pachtlaufzeiten, die eine langfristige Planung erschweren. Wenn Flächen regelmäßig nicht öffentlich ausgeschrieben, sondern direkt Großbetrieben oder Funktionär*innen angeboten werden, werden kleine und mittelständische Betriebe, Bio-Betriebe und vor allem Existenzgründer*innen strukturell benachteiligt.
Mitglieder des Bündnisses „Unser Land schafft Wandel“
Neofeudalismus und Raubtierkapitalismus in der Landwirtschaft
„5.000 Hektar in einem Betrieb, das ist Neofeudalismus pur und Raubtierkapitalismus in Reinform. Diese Strukturen aufzubrechen ist so heftig, weil wir ja am Ende an Privilegien ran gehen. […] Wenn ein Betrieb 5.000 Hektar bewirtschaftet, dann muss ich gar nicht überlegen, weil ich weiß, dass sich aus der Größe eine kausale Logik ergibt, was die Technik, die Ausgeräumtheit der Landschaft angeht […].“, sagt Sebastian Schmidt, den wir zum Bündnis „Unser Land schafft Wandel“ interviewt haben.
Der Zusammenschluss zu „Unser Land schafft Wandel“
Wie kann die Verpachtung von öffentlichem Land stärker an Gemeinwohl- und Naturschutzkriterien gebunden werden?
Das haben sich die Mitstreiter:innen des Bündnisses „Unser Land schafft Wandel“ gefragt. Sie haben in Greifswald als erste deutsche Stadt transparente, soziale und ökologische Pachtkriterien erstritten! Sebastian Schmidt, einer der Initiatoren des Bündnisses, erinnert sich an den Moment, als der Funke übersprang, sich mit dem Thema Zugang zu Land zu beschäftigen. Es war während eines Gesprächs mit dem damaligen Bürgermeister. In diesem Gespräch kam heraus, dass die Stadt Greifswald 4.700 Hektar landwirtschaftliche Fläche besitzt.
„Da machte es bei mir klick und ich sagte, müssen wir nicht mal drüber nachdenken, wie man dieses öffentliche Land alternativ bewirtschaften kann?“
Sebastians Vision für nachhaltige Landwirtschaft in Greifswald
Sebastian findet, die 4.700 Hektar sollten Vorbildcharakter haben in Bezug auf nachhaltige Landwirtschaft. Seit Jahren beschäftigt er sich mit der Natur und Landwirtschaft in und um Greifswald. Er gründete unter anderem die Naturschutzorganisation FINC Foundation. Seit Jahren befindet er sich in einem aufwendigen Dialogprozess mit Bürgermeister und Kommunalpolitikern. Und seit Jahren engagieren sich zahlreiche Initiativen von NABU über die AG Ökologie der Uni bis zu Extinction Rebellion für den Naturschutz in Greifswald. Aber wie kommen all diese Organisationen mit ihren unterschiedlichen Visionen zusammen und bilden das Bündnis „Unser Land schafft Wandel“ ?
Herausforderungen der Initiative
Sebastian fordert umweltfreundliche Pachtkriterien – Bürgermeister winkt ab
Dazu kam es in einem Gespräch mit dem neuen Bürgermeister Greifswalds, in dem Sebastian ihn auf die oft diskutierten, neu zu verpachtenden Flächen ansprach. Er schlägt vor für die freiwerdenden Flächen soziale, umweltfreundliche Pachtkriterien festzulegen. Die Antwort war enttäuschend: „Leider schon vom Vorgänger weiter verpachtet…“.
„Da wurde ich sauer. Wenn mit viel Geld ein Dialogprozess aufgenommen wurde, der aber komplett ins Leere läuft, dann müssen wir die Diskussion in die Öffentlichkeit ziehen, auf die Straße, und dann braucht es den Druck der Bürger:innen!“
Engagierte unter massiven Anfeindungen
Zunächst wurde von FINC eine repräsentative Befragung gestartet, wie die Bürger:innen Greifswalds die Land(wirt)schaft wahrnehmen. Dabei zeigte sich ein breites Interesse, und das nicht nur bei den „Akademiker:innen aus dem Altstadtbereich, sondern auch Rentner:innen, Arbeitslose und Familien nahmen wahr, dass die Landwirtschaft zunehmend verarmt“. Mit den Ergebnissen der Studie wurden Veranstaltungen durchgeführt und Diskussionsrunden mit Landwirt:innen und Kirchenvertreter:innen ins Leben gerufen. Bei den Veranstaltungen mussten sich die Engagierten teilweise massiven Anfeindungen von alteingesessenen Landwirt:innen stellen. Das war der Impuls, die Diskussion aus der „Naturschutz-Nische“ herauszuholen und durch ein breites Bündnis das große und berechtigte Interesse für das Thema deutlich zu machen.
Gemeinsam stark! Der große Zusmmenschluss
Alle engagierten Klima-/Umweltschützer:innen und Landwirtschaftsorganisationen vor Ort wurden angesprochen. Daraus fügte sich Anfang 2019 das Bündnis „Unser Land schafft Wandel“ aus den Organisationen NABU, FINC, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), BUND, Fridays for Future (FFF), Bündnis junge Landwirtschaft (BJL), Allgemeiner Deutscher Fahrrad Club (adfc), ClimateJustice Greifswald, AG Ökologie und Extinction Rebellion.
Das junge Bündnis startet durch…
In wöchentlichen Treffen wurden die gemeinsamen Ziele festgezurrt, um der Stadt bis Ende 2019 Kriterien zur Landvergabe kommunaler landwirtschaftlicher Flächen vorlegen zu können. Die FINC Foundation stampfte eine Projektstelle aus dem Boden. Mit deren Hilfe konnte Björn Pasemann sich hauptamtlich in die Stadtpolitik und Landvergabe reinhängen. „Das war wirklich hilfreich, weil er Zeit hatte, Stellungsnahmen zu schreiben […]. Björn mit seiner Stelle konnte viel Tiefe generieren!“. Die Hauptarbeit scheint auf wenigen Schultern zu liegen. „Ich würde das als effizient betrachten.“
Fachwissen trifft Mobilisierung für neue Pachtkriterien
Das Bündnis hat in seiner Erarbeitung der Pachtkriterien auf die jeweiligen Stärken der beteiligten Initiativen gesetzt. Damit konnten sie das Potenzial eines breiten Bündnisses voll ausschöpfen. Hauptamtliche verfassten die aufwendigen Fachstellungsnahmen. Schwungvolle Initiativen wie FFF & Co sorgten für eine breitere Mobilisierung „[…], weil die einfach ein größeres Netzwerk hatten“.
Stadt Greifswald: Erste Vorlage der Pachtkriterien sorgt für Spannung
In der Zwischenzeit legte die Stadt Greifswald im Sommer 2019 die erste Verwaltungsvorlage der Pachtkriterien vor. Diese bezog sich aber nur auf Neuverpachtungen, wenn also z.B. Landwirt:innen, weil sie in Rente gehen, ihre Pachtverträge mit der Stadt nicht verlängern. Schon vorhandene Pachtverträge würden laut dieser Vorlage nach wie vor ohne zusätzliche Bedingungen verlängert werden. Das Bündnis forderte aber mehr und stellte sich der Herausforderung: „Es muss jegliche Verpachtungen betreffen. Das durchzusetzen war der größte Brocken, weil dann alle gemerkt haben, jetzt wird´s ernst…“.
Landvergabe nach transparenten, sozialen und ökologischen Kriterien
Großer Durchbruch im November 2019
Die Stadt Greifswald nahm einen Großteil der Vergabekriterien für Pachtland in ihren Beschluss auf! Damit ist dem Bündnis „Unser Land schafft Wandel“ in Greifswald ein Durchbruch gelungen. Dieser Durchbruch ist so in Deutschland bisher einzigartig und dient anderen Kommunen als Vorbildcharakter. Die erste Stadt Deutschlands, die ihre kommunalen Flächen nach transparenten, sozialen und ökologischen Kriterien vergibt.
Wie war das möglich?
Was hat dem Bündnis das Gewicht verliehen, einen solch gelungenen Kompromiss mit der Stadt auszuhandeln?
„Klinken putzen, die hauptamtliche Projektstelle, die parteipolitische neue Ausgangslage der Links-Grünen Mehrheit. Und dann hatten wir das Thema im Vorfeld schon bearbeitet, hatten eine Referenz und Historie. Dazu kam unsere fachliche Glaubwürdigkeit, durch die Naturschutzverbände und die Beteiligung vieler Ökolandwirte.“
Revolution der Landvergabe-Praxis
Das kann man sagen! Als Kriterien zur Vergabe von Pachtland gelten seit 2019 in Greifswald neben ökologischen Aspekten, wie Ausrichtung auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit, Honorierung von Ökolandbau und biodiversitätsfördernden Maßnahmen, auch soziale Kriterien wie Darstellung der Unternehmensform, Arbeitskräftebestand und Ortsansässigkeit. Ausschlusskriterien sind u.a. die Verwendung gentechnisch veränderter Organismen und das Umbrechen von Grünland.
Sind die Konventionellen die Verlierer der neuen Pachtkriterien?
Ein konventioneller Ackerbaubetrieb bewirtschaftet seine Pachtflächen seit Jahrzehnten. In einem Jahr läuft seine Pacht aus, und dann? „Es soll niemand enteignet werden. Gefährdet der Verlust der Pachtflächen die wirtschaftliche Existenz, dann werden die Flächen nicht ausgeschrieben, dann wird über eine Neuverpachtung verhandelt und es werden Naturschutzmaßnahmen vereinbart.“
Nachhaltigkeit für alle Betriebe
Die neuen Pachtkriterien bepunkten zwar den Ökolandbau extra, sollen konventionelle Landwirt:innen aber nicht ausschließen. Gemeinsam mit den Landwirt*innen schauen sie, wo die Landwirt*innen die Bewirtschaftung nachhaltiger gestalten können. Dazu hat Unser Land schafft Wandel in den Pachtkriterien einen ganzen Katalog an ökologischen Maßnahmen erarbeitet. Aber Sebastian stellt trotzdem klar. „Wenn mir das Landesumweltamt im Grundwasserzustandsbericht 2021 vorführt, dass sich in den letzten 5 Jahren der Grundwasserzustand […]verschlechtert hat und die Ursache dafür Nitrat und Pflanzenschutz-Rückstände sind, da sehe ich die Kommune in der Pflicht, einen höheren Standard zu formulieren, ob wir wollen oder nicht! Denn es geht um unser Land und wertvolle Ressourcen für alle Bürgerinnen und Bürger“.
200 Hektar werden frei
Die Probe aufs Exempel im Sommer 2020
Seit Jahren stand fest, dass ein großer Landwirt in Greifswald Mitte 2020 in Rente geht und damit 200 Hektar Pachtland frei werden. „Das ist der Test für diese Pachtkriterien. Da haben sich dann auch Bio ´s drauf beworben – auch Neueinsteiger:innen. Und dann wurden die Konzepte der Bewerber:innen von zwei Stadtverwalter:innen und einem Umweltauschussmitglied geprüft und ihre Entscheidung in einem nicht öffentlichen Teil dem Umweltausschuss vorgeschlagen.“
Große Enttäuschung
Doch der Vorschlag war enttäuschend, denn alles Grünland sollte an Biolandwirt:innen gehen und die Ackerflächen an Konventionelle. „Bei Pestizidreduktion und Insektenvielfalt spielt die Musik aber auf dem Acker, nicht auf dem Grünland.“
Das Bündnis hatte keinen ausreichenden Einblick erhalten und konnte die Entscheidung dadurch nicht verhindern.
Belastetes Grundwasser mit Pflanzenschutz-Rückständen: Zeit zu handeln ist jetzt!
Auf Grundlage eines Konzeptes der Greifswalder Agrarinitiative (GAI e.V.) zur Reduzierung von Pestiziden, wurden 2021 die Vergabekriterien für kommunales Pachtland nachjustiert. Flächen, auf denen nachgewiesener Weise integrierter Pflanzenschutz – nach EU-Vorgaben- umgesetzt wird, müssen nicht mehr ausgeschrieben werden. Dafür hat sich die Stadt aber verpflichtet bis 2030 30% der Pachtflächen an ökologisch wirtschaftende Betriebe zu vergeben. Die Pachtkriterien seien nach wie vor ein Einschnitt in die bisherige Praxis der Landvergabe. Für Sebastian ist jedoch klar, dass es Zeit fürs Handeln ist. „Wenn wir belastetes Grundwasser mit Pflanzenschutz-Rückständen haben, dann haben die Landwirte den Auftrag unser Vertrauen zurückzugewinnen und nicht wir schenken jetzt nochmal 12 Jahre Vertrauen und hoffen, dass es besser wird.“
Was treibt das Bündnis „Unser Land schafft Wandel“ weiter an?
Honorieren von gemeinwohlfördernden Maßnahmen bei der Landvergabe
Seit dem großen Erfolg 2019 bleibt das Bündnis an den Problemstellungen der Greifswalder Landwirt:innen dran. Sie erarbeiten momentan ein Konzept zur Preisanpassung der Pachtflächen. Hintergrund ist, dass man Landwirt:innen, die Naturschutzmaßnahmen umsetzten, mit dem Pachtpreis entgegenkommen möchte. Gemeinwohlfördernde Maßnahmen sollen honoriert werden. Bisher orientieren sich die Pachtpreise der Stadt Greifswald am Markt. „400 € pro Hektar, da sagen uns die Ökobetriebe, das kannst du eigentlich wirtschaftlich nicht darstellen. Deswegen sind wir zurück zur Stadt gegangen und haben gesagt ´Ihr könnt nicht Ökolandbau wollen, aber die Preisspirale immer höher drehen´ “.
Weniger Pacht für Pflanzenschutz-Einhaltung und Ökolandbau
Momentan läuft ein Antrag, um zu prüfen, ob Landwirte 25-50% weniger Pacht zahlen müssen. Die Reduzierung soll sich danach richten, ob sie sich an die minimalen Pflanzenschutz-Richtlinien halten oder auf Ökolandbau ausgerichtet sind.
An Visionen fehlt es nicht, das wird deutlich, wenn man mit Sebastian im Gespräch ist. „Dann geht eigentlich der nächste Schritt weiter, dass wir weitere Bündnisse schmieden und sagen, wer kann denn die 30% der Fläche ökologisch bewirtschaften? Und wir uns zusammen überlegen, wie wir Rahmenbedingungen und Support hierfür schaffen können.“
Ein Vorbild für Kommunen
Mit diesem positiven Ausblick möchten wir uns bei Sebastian Schmidt für das Gespräch und den Einblick in das Engagement des Bündnisses „Unser Land schafft Wandel“ bedanken. Mögen sich weitere Kommunen ein Beispiel daran nehmen und gemeinsam mit der Zivilgesellschaft den Zugang zu Land für bäuerliche Landwirtschaft erleichtern!
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