6 Gespräche mit Landwirt:innen, Aktivist:innen, Interessierten und Betroffenen aus dem Globalen Süden
Futtermittelimporte im Ökolandbau
Am 12.11.23 diskutierten wir mit Bio-Junglandwirt:innen zu Futtermittelimporten im Ökolandbau. Eingeladen waren Lasse Brandt (Brandenburger-Bio Ei), Henning Niemann (Handels-Berater vom Kompetenzzentrum Ökolandbau Niedersachsen) und Peter Müller (Bioland Schweinebauer aus dem Worratal). Erschreckend, stellten wir gleich zu Beginn fest, dass trotz Kreislaufgedankens große Anteile von Importfuttermittel in den Trögen von Bio Schweinen und Hühner landen. Diese weisen teils fragwürdige und mindestens intransparente Herkünfte auf. Dass es anders gehen kann, zeigte Peter Müller vom Lettcheshof auf. Er füttert seine 1.100 Bio-Mastschweine zu 100% mit eigenen Soja und Futtermitteln aus Hessen. Wie muss die Tierhaltung in Deutschland umgebaut werden, damit sie nachhaltig funktioniert?
Umbau der Tierhaltung in Deutschland
Kurz zuvor, am 5.11.23, organisierten wir anlässlich der Finissage der Ausstellung Ocular Witness im Sprengel-Museum in Hannover eine Podiumsdiskussion. Zum Umbau der Tierhaltung in Deutschland und luden Dr. Josef Efken (Thünen-Institut, Mitverfasser der Studie zu den Auswirkungen der Nutztierzahlreduktion im Oldenburger Münsterland), Lennart Tilmann (junge Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft) und Karsten Rothberg vom Böelschubyhof in Schleswig-Holstein ein.
Das Thünen-Institut hatte in einer Studie spannendes dargelegt. Selbst ein weitgehender Umbau der Tierhaltungsregion Oldenburger Münsterland ist denkbar und gestaltbar ist, wenn einige Rahmenbedingungen stimmen. Immer wieder forderte der junge Agrarstudent eine politische Sichtweise auf die Lage der Bauernhöfe ein. Sowohl die Macht des Lebensmitteleinzelhandels als auch Weichenstellungen wie die Festsetzung der Mehrwertsteuer haben großen Einfluss auf die Überlebenschancen der Höfe.
Aus dem Publikum kamen engagierte Ideen. Z.B. das Recht auf Ganztagsschulen ab 2026 schon jetzt zu nutzen, um Schulkantinen zu Lernorten zu machen. Dort kann regionales, umweltverträgliches Essen serviert werden.
Frauen in der Landwirtschaft
Anlässlich der zuletzt erschienen Studie zur Lebens- und Arbeitssituation von Frauen in der Landwirtschaft in Deutschland widmeten wir uns am 13.6.23 dem großen Thema Frauen in der Landwirtschaft. Gemeinsam mit Rukmini Rao (Landwirtschafts- und Frauenaktivistin aus Indien), Claudia Gerster (Betriebsleiterin des Sonnengut Gerster) und Hanna Schwager (Emanzipatorisches Landwirtschafts Netzwerk) lernten wir, dass die Situation von Frauen und Queers in der deutschen Landwirtschaft auch im 21. Jahrhundert alles andere als gleichberechtigt ist.
Nur 11 % der Betriebe in Deutschland werden von Frauen besessen. Jede fünfte Frau in der Landwirtschaft stufte sich als Burnout-gefährdet ein. Nur 18 % der Hofnachfolger:innen sind weiblich. Es gibt eine deutliche Gender-Pay Gap bei Landwirtschafts-Arbeitnehmerinnen. Außerdem haben Frauen eine sehr schlechte soziale Absicherung auf Höfen im Alter und bei Trennung oder Tod.
Gründe sind u.a. weiterhin traditionelle Rollenbilder und ein schlechterer Zugang zu Land und Kapital. Rukmini Rao berichtete, dass Frauen in der Landwirtschaft in Indien teils sogar mehr Rechte innehaben (soziale Absicherung, Entscheidungsmacht) als Frauen auf deutschen Höfen.
Das „System Tönnies“
Im April 2023 diskutierten wir in Spanien anlässlich des Tag des bäuerlichen Widerstands über das „System Tönnies“. Der Fleischkonzern will seine Produktionskapazitäten in Spanien massiv ausweiten, auf Kosten von Umwelt, den Menschen vor Ort und bäuerlichen Betrieben. Wir berichteten bereits von unserer Recherchereise.
Ungefähr 60 Personen allen Alters kamen zur Diskussion. Catharina Rubel von Aktion Agrar berichtete vom bereits bestehenden Tönnies Schlachthof in Aragón und dem geplanten Megaschlachthof in Calamocha.
Aus Deutschland zugeschaltet war Martin Schulz, Schweinehalter und Vorstand der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft (AbL). Er schilderte, wie Tönnies schon in Deutschland wesentlich dazu beigetragen hat, dass in den letzten Jahren viele kleine und mittlere schweinehaltende Betriebe die Tierhaltung in Deutschland aufgeben mussten.
Auch auf dem Podium dabei war Zlatina Donev. Sie ist Rechtsberaterin für migrantische Arbeiter:innen in den Schlachthöfen im Oldenburger Münsterland bei der Initiative ALSO. Sie erklärte, dass aufgrund der Corona-Skandale in mehreren Tönnies Schlachthöfen in Deutschland die extrem prekären Beschäftigungsverhältnisse offensichtlich wurden. Durch das Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit müssen alle Arbeiter:innen nun direkt beim Unternehmen angestellt sein – und den Mindestlohn erhalten. Das hat zu deutlich höheren Kosten für Unternehmen wie Tönnies geführt. Es stellt ein weiteres Motiv für die Abwanderung nach Spanien dar.
Isabell Fernandez von der Umweltorganisation Ecologistas en Acción warf einen Blick auf die Rolle von Futtermittelimporten. Soja für Futtermittel wird durch wenige transnationale Großkonzerne aus Argentinien und Brasilien an spanische Häfen angeliefert. Dann wird es in das geostrategisch nahe gelegene Aragón zu den Tierfabriken verfrachtet, ein extrem optimiertes System.
Im Anschluss gibt es noch eine lange Diskussion und viele Rückfragen.
„Verzehrswende jetzt – weg mit dir, du Klima Tier?“
Im November 2022 sprachen wir im Rahmen der Witzenhäuser Konferenz „Verzehrswende jetzt – weg mit dir, du Klima Tier?“ mit 34 Teilnehmenden zum Thema „Ernährungssouveränität im Globalen Süden vor dem Hintergrund einer globalisierten industriellen Tierproduktion“.
Eingeladenen Referent:innen waren Judith Busch (Vorständin der Menschenrechtsorganisation FIAN e.V. Deutschland) und Wolfgang Hees (aktiv für die AbL & den Verein Freund:innen der brasilianischen Landlosenbewegung MST Deutschland, e.V.). Sie zeigten auf, welche massiv negativen Auswirkungen die Nachfrage der deutschen Mastindustrie nach billigem Soja auf die Menschen und Lebensgrundlagen in Südamerika hat.
Illegale Waldabholzungen, Savannenzerstörung und Vertreibung von Menschen sind weiterhin an der Tagesordnung. Die Landlosenbewegung MST hat es in den vergangen Jahrzehnten aber immer wieder geschafft, Land für Menschen zurück zu erobern. Durch Landbesetzungen konnten bereits um die 350 Tausend Menschen wieder Land zurück erhalten, um sich selbst zu ernähren. Später wurden die Landbesetzungen legalisiert.
Im Hotspot der Tierhaltung in Deutschland
Im September 2022 waren wir in Quakenbrück mit einer Diskussion direkt im Oldenburger Münsterland. Das Oldenburger Müsterland ist ein Hotspot der industriellen Tierhaltung in Deutschland. Wir konnten auf dem Camp der Aktivist:innen von Gemeinsam gegen die Tierindustrie mit unserer Dialogreihe starten.
Nik Hampel ist Mutterkuhhalter aus Hessen. Er ermunterte seine Berufskolleg:innen während der Veranstaltung dazu, sich in der landwirtschaftlichen Praxis für grundlegende Veränderungen einzusetzen. Der Einsatz synthetischer Düngemittel und Pestizide sowie der massive Import von billigen Futtermitteln aus dem Globalen Süden seien noch nie eine gute Idee gewesen. Und sie würden es auch nicht mehr werden.
Ottmar Ilchmann ist ein Milchbauer aus Niedersachen und Vorstand der AbL Niedersachen. Er unterstrich, dass es auch in Deutschland eine lange Tradition bäuerlichen Widerstands gegen das Billigpreissystem des Lebensmitteleinzelhandels gibt und wie wichtig es ist, weiterhin widerständig gegenüber Konzernen zu sein. Er mahnte dabei auch an, weiterhin gut hinzuschauen, wer die wirklichen Bad Player sind und Bäuer:innen bei deren Identifikation einzubeziehen.
Fazit zur Tierhaltung in Deutschland
Sechs Dialogveranstaltungen durften wir innerhalb eines Jahres zum Umbau der Tierhaltung in Deutschland durchführen. Denn wie es heute ist, kann es nicht bleiben. Anstatt übereinander zu sprechen, finden wir, es sollte mehr miteinander gesprochen werden.
Das haben wir uns zu Herzen genommen und zusammen mit Landwirt:innen, Aktivist:innen, Interessierten und Betroffenen aus dem Globalen Süden über unser Tierhaltungssystem, dessen globale Auswirkungen und Wege in die Tierhaltungswende diskutiert.
Unser Fazit: Wir hatten sechs super spannende Einblicke in verschiedene Perspektiven auf das Thema Umbau der Nutztierhaltung und was alles dazugehört. Die Transformation ist komplex und das muss sie auch sein. Wir bleiben dran!