Mit 25 Menschen radelten wir vom 4.-9. September 2023 durch das spätsommerliche Niedersachsen. „Dem Soja auf der Spur“, lautete das Motto unserer diesjährigen Aktionsradtour. Wieder haben wir sehr viel über Futter-Soja gelernt, tolle Begegnungen gehabt und es wurde auf der Titelseite einer Lokalzeitung über uns berichtet.
Auf das Fahrrad für die Agrarwende
Montag
Los geht‘s in Bremen-Burg
Vor dem Start bekamen die meisten Räder eine kreative Dekoration. Hierzu hat Volker „Hühner zur Sonne, zur Freiheit!“, auf das Stoffbanner gepinselt und befestigt die Fahne mit einem Bambusstab an seinem Fahrrad. „Soja ohne Umwege“, heißt es auf einem anderen Wimpel.
Dienstag
Der Import von Futter-Soja im Hafen Brake
Entdeckungstour im größten Futtermittelimporthafen Europas
Am Dienstag steht die große Hafenrundfahrt in Brake, an der Wesermündung in die Nordsee, auf dem Programm. Die Hafenrundfahrt haben wir über die Tourist-Information gebucht. Sie wird geleitet von einem Mitarbeiter des größten Unternehmens im Hafen Brake „J. Müller“. Er vermittelte uns einen Eindruck vom größten Futtermittelimporthafen Europas mit seinen „modernsten und größten Siloanlagen der Welt“. 6,5 Millionen Tonnen Futter-Soja und Getreide werden in Brake pro Jahr „gelöscht“ (d.h. abgeladen).
Gigantische Ladungen: Soja und Getreide im Rekordtempo!
Bis zu 60.000 Tonnen Soja haben die Überseeschiffe an Bord. Es dauert theoretisch drei Tage, bis diese riesige Menge an Bohnen oder Sojaschrot in die Silos an Land verladen sind. Ein Kran hebt kleine Bagger an Bord, damit die die Masse immer wieder in die Nähe der gigantischen Saugrüssel des Hebers schieben. Weil es häufig doch irgendwo mal klumpt oder klemmt, rechnet das Hafenunternehmen mit faktisch fünf Tagen Arbeit pro Frachter.
Aufmerksame Begleitung: Polizeikontrolle
Unseren Bus begleitet ein Polizeiauto, das immer auch dann hält und wartet, wenn der Busfahrer auf Geheiß des Hafenführers einen Stopp einlegt. Schließlich stoppt die Polizei den Bus und ein Beamter steigt vorne ein. Er will wissen, welche Gruppe in diesem Bus sitze und ob es Protestbanner an Bord gäbe. Geduldig geht der Reiseleiter durch den Bus und verneint. Weder er noch wir wissen, warum wir so intensiv beäugt werden, aber nach dieser Unterbrechung geht es unbehelligt weiter.
Riesige Silos für Futter-Soja
Mit dem Reisebus fahren wir bei der Tour durch das 300 Hektar große Hafengelände dann auch noch in die größte freitragenden Lagerhalle Europas. Rechts und links sehen wir gigantische Sojaschrot-Berge. „GMO-free“ und „Brasil“ steht heute mit Kreide auf einem Kennzeichnungsschild am Eingang. Die Firma J. Müller organisiere eine zuverlässige Trennung der verschiedenen Sojabohnen oder Sojaschrot-Mengen. Das Fassungsvermögen der Silos ist riesig – weil nur dann alle Produkte gut getrennt für ihren weiteren Transport bereit gehalten werden können.
Importe von Palmöl, Industriegütern und mehr
In Brake kommen außer Futter-Soja und Getreide auch Öle an. Die Firma Olenex beispielsweise verarbeitet hier im Hafen sehr viel Palmöl.
Im nördlichen Bereich des Hafens kommen auch Industriegüter an, wie Eisenplatten oder zukünftig Windrad-Flügel. Zellulose ist ebenfalls eine wichtige Fracht.
Grundsätzlich sei Brake vor allem ein Importhafen, lernen wir. Aber wir beobachten auch die Beladung eines „Linienfrachters“ mit Bauholz für die USA.
Container gibt es übrigens praktisch gar nicht im Hafen, der sich auf Schütt- und Sondergüter spezialisiert hat.
Hofgemeinschaft Grummersort – das Kontrastprogramm komplett ohne Futter-Soja
Von Brake aus kommt die Gruppe zur Hofgemeinschaft Grummersort, ganz nah bei Oldenburg. 30 Kühe, 20 Schweine, eine eigene Käserei, eigene Bäckerei und viel, viel Gemüse wird hier produziert. Selbstbewusst führt uns einer der Hofleiter über den Betrieb. Denn Futter-Soja kommt hier in keinen der Tröge. Die Hälfte der Schweine gallopiert neugierig über die Wiese auf den Stall zu, als sie die Besuchsgruppe bemerken. Ihr Futter: Reste, die auf dem Markt nicht verkauft wurden und Molke aus der Käserei. Deswegen sind die Schweine eine perfekte Ergänzung im Hofkreislauf, erläutert Bauer Sebastian.
Jede Milchkuh trägt hier Hörner. Sie brauchen einfach viel Platz, erklärt der Bauer, dann gäbe es keine Probleme mit Verletzungen und Co.
Mittwoch
Futtermittelwerk Agravis und Futter-Soja
Beim großen Futtermittelmischwerk Agravis in Oldenburg erwarten uns gleich mehrere Männer aus der Geschäftsleitung. Die Aktiengesellschaft Agravis ist nicht an der Börse, man legt Wert darauf, über Namensaktien im Blick zu behalten, wer die Firma besitzt, die Mehrheit liegt bei genossenschaftlichen Eigentümern wie 110 lokale Warengenossenschaften.
Zum Konzern gehören auch 85 Tochterunternehmen (die meisten wirtschaften sehr weitgehend eigenständig meint unser Referent). Plus 96 assoziierte und verbundene Unternehmen.
Aktiengesellschaft mit genossenschaftlichem Konzept
Besonders dringend wollen die Agravis-Vertreter zeigen, wie sie die Herkunft ihrer Sojabohnen im Futter nachvollziehen. Denn zehn Jahre haben sie an einer Software gearbeitet, die es erlaubt, die Vorgeschichte jeder Tonne Sonja bis auf die jeweilige Farm zu verfolgen. Trotzdem konfrontierte eine kleine NGO aus Münster sie 2022 mit schweren Vorwürfen landloser Menschen in Brasilien, die brutale Vertreibung von ihrem Land erlebten.
Kontroversen um Coamo: Agravis distanziert sich nicht
Agravis ist sich sicher, dass die Gewalttaten nicht auf einer ihrer direkten Lieferfarmen geschahen, die Indigenen aber, dass sehr wohl der brasilianische Handelspartner (Coamo) von Agravis dafür verantwortlich ist. Von Coamo will man sich bei Agravis jedoch nicht distanzieren. Würden sie nicht mehr bei Coamo Futter-Soja einkaufen, so würde es einfach jemand anders tun, so die schulterzuckende Antwort des Konzernvertreters. 500.000 Tonnen Mischfutter verkauft das Agravis Werk jährlich, das wir in Oldenburg nach der Diskussion auch noch besichtigen. Der Soja-Anteil sinke, berichten die Geschäftsführer. Aber solange er nachgefragt sei, werde es ihn im Oldenburger Futter geben.
Bei der anschließenden Werksführung ging es in einem beeindruckend engen und vollen Fahrstuhl 74 Meter hoch zum höchsten Punkt, den man in Oldenburg erreichen kann. Ein beeindruckender Ausblick! Auch zurück zum Hafen Brake können wir schauen, den wir am Vortag besucht hatten.
Stadt-Erkundung: Historische Einblicke in Oldenburgs Schlachtbranche
Daraufhin machten in Oldenburg fünf Kleingruppen unserer Fahrradtour die Stadt unsicher: Denn sie erkundeten mehrere historische Orte, die von früher Bedeutung der Schlachtbranche für Oldenburg zeugen und befragten Passant:innen zu ihrem Wissen über die massenhafte Tierhaltung in den benachbarten Landkreisen Cloppenburg und Vechta. Obwohl fast alle wussten, dass es viele Tiere dort gibt, waren die Gesprächspartner:innen von den schieren Zahlen beeindruckt.
Schmetterlingsblütler im Fokus: Leguminosen-Netzwerk informiert
Am Abend kommt eine Referentin vom Leguminosen-Netzwerk (LeguNet) direkt zu unserer Unterkunft. Beeindruckend detailgenau erzählt sie von den eiweißreichen und vielfältigen Schmetterlingsblütlern. Wir haben viel gelernt über die Superkräfte der Pflanzen, aber auch über die Herausforderungen, die sie im Ackerbau mit sich bringen.
Donnerstag
Hintergrundwissen von der Landwirtschaftskammer
Am Donnerstag kommt die Leiterin der Tierhaltungsabteilung der Landwirtschaftskammer Südoldenburg. Sie erzählt, wie aus dem Oldenburger Münsterland von einer sehr armen Region mit schlechten Böden die reiche, aber auch mit vielen Problemen beladene Tierhaltungsregion wurde.
In der Nähe von Friesoythe kommen wir in einer Jugendfreizeitstätte unter. Dort stößt Guido Gruner von der ALSO, der Arbeitslosenselbsthilfe aus Oldenburg zu uns. Er beeindruckt mit seinen Schilderungen, wie sie mit viel Idealismus und Ehrenamt, teilweise aber auch geförderten Stellen seit etwa 10 Jahren Beschäftigte der Fleischindustrie beraten. Trotz des Verbotes der Leih- und Werkvertragsarbeit nach den katastrophalen Corona-Infektionswellen in den Schlachthöfen, hat sich nach den Erfahrungen der ALSO und ihrer Klient:innen viel zu wenig geändert: Immer noch herrscht gnadenloser Druck. „Kurzzeitverträge mit langen Probezeiten“ halten die Menschen rechtsunsicher und meistens leise. Extrem harte körperliche Arbeit leisten die in den Schlachthöfen, eine Arbeit, die auch psychisch sehr belastet. Faire Arbeitsbedingungen sind weiterhin Fehlanzeige, bilanziert Guido Grüner ernüchtert.
Dann nutzen wir den Abend noch zum Basteln und Planen. Innerhalb weniger Stunden entstehen 25 Wurstzipfel-Mützen, große Aktionsbuchstaben und ein rundes Konzept für unseren Auftritt vor dem Schlachthof der Goldschmaus Gruppe in Garrel am kommenden Tag.
Freitag
Tierwohl-Demo in Garrel
25 menschengroße „Würstchen“ halten riesige Buchstaben vor sich in die Luft: „Burschen sofort ohne Sojaimport“ lässt sich da lesen. Unsere Aktionsradtour wird ihrem Namen gerecht: mit Protest und Diskussion vor dem Schlachthof „Goldschmaus“ in Garrel im Oldenburger Münsterland. 1,7 Millionen Schweine schlachtet die Firma hier pro Jahr und macht aus ihnen unter anderem Würstchen, die „Burschen“, wahlweise in der Variante „herzhaft“, „scharf“ oder „knackig“.Dr. Otto, im Konzern zuständig für Tierschutz und Öffentlichkeitsarbeit, ist zum Gespräch bereit. Unter unseren zum Wurstzipfel umgestalteten Badekappen liegen viele Fragen bereit. Eine faire Zusammenarbeit mit den Bauern sei dem Unternehmen wichtig, erklärt Dr. Otto. Und das Tierwohl auch.
Eine Nachfrage zeigt, wie erfolgreich die intensive Nachhaltigkeits-Kommunikation des Unternehmens wirkt: Bei Wikipedia steht, alles Fleisch käme aus den hohen Tierwohlstufen drei und vier. Die Firma weiß nicht, wer das schrieb, tatsächlich seien das nur ein bis zwei Prozent. Aber die Website der Firma suggeriert, dass es ganz anders sein muss.
Am Abend heißt es schon: Auswerten, Zurückblicken – und die Abreise vorbereiten.
Samstag
Gefährdete Tierrassen in Arche Wilhelminenhof
Am Samstag macht die Gruppe noch einen Zwischenstopp beim Arche Wilhelminenhof westlich von Vechta. Der Hof ist ein Archehof, das heißt er ist von der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e.V. (GEH) anerkannt als ein Hof, der sich dem Erhalt gefährdeter Tierrassen verschrieben hat. Die alten Rassen, die hier gehalten werden, sind klimafitter als ihre Artgenossen, die über Jahrzehnte gnadenlos auf Höchstleistung getrimmt wurden und kaum mehr mit karger Ernährung und Temperaturunterschieden zurecht kommen
Der Hof wird von einer Solidarischen Landwirtschaft getragen. Während wir Tiere und Gemüse besichtigen, kommen zahlreiche Familien und holen sich ihre aktuellen Ernte-Anteile ab.